: Das Ende des Mörders
In Chile feiern tausende den Tod von Pinochet. Ingrid Herrera aber trauert – obwohl ihr Bruder Opfer der Militärjunta war
AUS SANTIAGO DE CHILEDINAH STRATENWERTH
Ausgerechnet am Internationalen Tag der Menschenrechte ist Augusto José Ramón Pinochet Ugarte gestorben. Mit Champagner, Musik und Sprechchören feiern in Santiago zehntausend Chilenen den Tod des früheren Diktators. Auch Cecilia Bottai steht mit ihrer Familie in der Menge. Sie freut sich. „Pinochet ist an dem Tag gestorben, den er nie respektiert hat“, sagt die 56-Jährige.
Auf der Plaza Italia blockieren schon eine Stunde nach dem Tod des Generals Demonstranten die Straße, sie singen und hüpfen. Bis zum späten Nachmittag ist der Platz dicht, die chilenische Flagge flattert, auch die venezolanische Fahne und, auf rotem Grund, das Gesicht des 1973 von Pinochet gestürzten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Auf Plakaten wünschen die Demonstranten Pinochet, er möge in der Hölle schmoren, eine Band spielt den Soundtrack zum Freudenfest.
Cecilia Bottai hüpft mit, trotz Hitze und Erschöpfung. Sie und ihre Mutter wurden 1975 von der Geheimpolizei DINA verhaftet und im Folterzentrum Villa Grimaldi eine Woche lang misshandelt. Nach ihrer Freilassung gelang der Familie die Flucht nach Italien, erst nach dem Ende der Diktatur kehrte Cecilia mit ihrem Mann Patricio und den beiden Kindern zurück nach Chile. Pinochets Tod ist eine Befreiung für sie: „Er war ständig im Fernsehen zu sehen. Als Senator auf Lebenszeit war ja er immer präsent.“ Mit seinem Tod fällt eine Last von ihr ab.
Nur vier U-Bahn-Stationen entfernt herrscht tiefe Trauer. Anderthalbtausend Anhänger Pinochets singen: „Niemals werden wir den Befreier Chiles vergessen.“ Ingrid Herrera weint. Sie sitzt auf dem Boden und hält ein Bild „meines Generals“ auf dem Schoß. Ihrer Ansicht nach hat der Junta-Chef Chile davor bewahrt, „dass wir werden wie ein zweites Kuba, oder wie Venezuela“. Dafür ist sie ihm dankbar, schließlich habe er das Land vom Kommunismus befreit. Und das war richtig, auch wenn es die eigene Familie betraf: „Mein Bruder war Kommunist“, erzählt Ingrid Herrera ungerührt. „Den haben sie mitgenommen, er hatte es nicht anders verdient.“
Claudia Carvajal weiß wenig über die Zeit der Junta. Sie hat mit ihren 29 Jahren von Allende nichts und von Pinochet wenig mitbekommen. Nur ihre Mutter hat öfter erzählt, wie schlecht es ihr unter Allende ergangen sei: Warenknappheit und schlechte Löhne, weil „alles in die Kassen der Partei ging“. Das sozialistische Projekt sei zum Scheitern verurteilt gewesen, das meint auch Carvajal. Doch was die Menschenrechte angeht, habe Pinochet „Fehler gemacht“. Ihrer Meinung nach sollten die für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Militärs vor Gericht gestellt werden.
Pinochet ist gestorben, ohne verurteilt zu werden. Dabei haben Anwälte und Opferverbände immer wieder geklagt und versucht, ihn hinter Gitter zu bringen. Nun ist es zu spät. „Wäre Pinochet nicht 1998 in London festgenommen worden, gäbe es sogar ein Staatsbegräbnis“, ist Cecilia Bottai überzeugt.
Am Nachmittag teilt die Regierung Bachelet mit, man werde keine Staatstrauer ausrufen, als früherer Chef der Streitkräfte bekomme Pinochet ein militärisches Begräbnis. Für Cecilia Bottai ist auch das viel zu gut: „Wenn man davon ausgeht, dass die Streitkräfte Teil des Staates sind und uns Chilenen verteidigen sollen, dann hat er auch die Militärzeremonie nicht verdient.“ Trotz der Freude über Pinochets Tod bleibt die Wut darüber, dass der Exdiktator in seinem Bett sterben durfte, nicht in einer Gefängniszelle. Deshalb ziehen die Demonstranten nun von der Plaza Italia zum Regierungspalast Moneda. Der ist jedoch weiträumig abgesperrt – am 11. September, dem 33. Jahrestag des Putsches, war aus einer Demo heraus ein Molotowcocktail in ein Fenster geflogen.
Cecilia Bottai geht nach Hause. Sie weiß, „das endet hier im Chaos“. Am frühen Abend ist der Platz vor der Moneda in Tränengas gehüllt, Wasserwerfer verfolgen Demonstranten. Bis spät in die Nacht brennen im Zentrum und in vielen Außenbezirken die Barrikaden.