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Archiv-Artikel

Wir haben das Wetter auf dem Schirm

HITZE 36 Grad soll der heutige Dienstag bringen – aber was ist mit dem Rest des Jahres? Müssen wir später frieren, weil es jetzt so heiß ist? Oder schlägt der Klimawandel bis in den Herbst hinein voll zu? Die taz hat ein paar Bauernregeln auf den neuesten Stand gebracht

Sicher ist in dieser Stadt nur eines: Sobald das Thermometer die Dreißig-Grad-Marke knackt, beginnt die Zeit der Schlaumeier: Vors Fenster einen feuchten Wickelrock hängen; am Tage die Fenster schließen, in der Nacht aufreißen; viel trinken, aber bloß keinen Alkohol; wenn alles nicht hilft, Kühlschrank auf und davorhocken, aber nur bei A+++.

Sinkt das Quecksilber unter Null Grad, ist es übrigens nicht anders. Die Lehre, die wir daraus ziehen? Nichts ist weniger verlässlich als das Wetter. Und nichts können wir weniger beeinflussen. Wenn Wowereit den BER vergeigt, stimmen wir fürs freie Feld. Haben wir Alexa satt, ist Bikini eine verführerische Alternative. Nur beim Wetter sind wir hilflos ausgeliefert. Schauen fassungslos auf die Wetteraufzeichnung: 34 Grad in Berlin! Heißestes Pfingsten seit 50 Jahren! Damals gab’s noch Kalten Krieg, der kühlte. Und heute?

Wie beruhigend, dass die Berlinerinnen und Berliner viel gelassener sind als ihre Erzieher. Kein Bier vor vier? Doch nicht an Pfingsten! Schön den Schatten suchen? Wozu ist denn die Sonne da! Hautkrebs? Dann müsste ich auch mit dem Rauchen aufhören. Entweder schert sich das Volk nicht um die guten Ratschläge. Oder aber die Ratschläge sind so richtig was von gestern.

Noch viel mehr von gestern ist die Bauernschläue. Wer vor hundert Jahren die Pfingsthitze erlebte, konnte sich nicht vor den Kühlschrank setzen. Viele zogen deshalb lieber in den Krieg. Wenn schon Unwetter, dann wenigstens Stahlgewitter. Andere, das waren die sympathischeren, guckten auf die Schwalbe und schlossen haarscharf, dass eine für den Sommer nicht genüge. Zu Pfingstsonntag heißt die Bauernregel: „Wie’s Wetter auf Medardi fällt, meist bis Monatsende hält.“ Und für den heutigen Dienstag: „Hat Margarete keinen Sonnenschein, kommt das Heu nie trocken rein.“

Wie wunderbar ist dieses Regelwerk. Wenn man schon nichts ändern kann, soll man’s eben hinnehmen. Das Wetter ist, wie es ist. Wo bleibt die Gelassenheit der Alten? Ist sie mit der Kenntnis der Namenstage verschwunden?

Höchste Zeit also, die Bauernregeln neu zu erfinden. Dann kann uns selbst an den heißesten Junitagen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nichts mehr überraschen. Und ab nächster Woche kümmern wir uns sowieso nur noch um das Wetter in Brasilien. UWE RADA

Die taz-Bauernregeln: Sehnt die Antifa im Maialle Wasserwerfer herbei, folgt im September auf dem Fuße bei jeder Demo die kalte Dusche

Knackt der Karneval der Kulturen die Million, hackt der Bauer im August Holz schon

Wollen die Berliner ein freies Tempelhofer Feld, verspricht der Frühling, was der Sommer hält

Hitzetod im Grunewald, Immobilienpreise sinken bald

Ist das Hirn schon weich wie Brei, zerläuft in Hellersdorf bald auch das Arschgeweih

Regnet’s im April in Schöneweide, fressen die Nazis dort bald Kreide

Friert im Dezember die ganze Stadt, läuft’s für Wowereit nicht glatt

Schneit’s im Görli noch im Mai, wünscht der Dealer das Gras herbei

68 Prozent für Jan Stöß machen noch keinen Sommer

Wenn Homos im Juni oben ohne laufen, Heteros im Herbst am Regen ersaufen