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Archiv-Artikel

„Roter Terror“ war Völkermord

Gericht in Äthiopien verurteilt Exmilitärherrscher Mengistu in Abwesenheit

BERLIN taz ■ Mengistu Haile Mariam, der Äthiopien 1974 bis 1991 regierte, ist des Völkermordes schuldig. Dies befand gestern ein Gericht in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zum Abschluss eines zwölfjährigen Verfahrens gegen den Exdiktator und 73 einstige Mitglieder seiner Regierung. „Angehörige der Derg (Mengistus einstige Militärjunta) haben sich verschworen, eine politische Gruppe zu zerstören und Menschen straflos zu töten“, erklärte der Vorsitzende Richter Medhen Kiros.

Mengistu war einer der Offiziere, die 1974 das mehrtausendjährige Kaiserreich in Äthiopien stürzten. In der Militärjunta „Derg“ bekämpften sich unterschiedliche marxistisch-leninistische Tendenzen, und Mengistu ging daraus als Sieger hervor. Er führte ab 1976 eine offiziell „Roter Terror“ genannte Säuberungskampagne gegen seine politischen Gegner, der zehntausende Menschen zum Opfer fielen. Mitte der 80er-Jahre forderte in Äthiopien die verheerendste Hungersnot des modernen Afrika, verschärft durch Zwangsumsiedlungen von Bauern, hunderttausende Tote.

Insgesamt werden die Opfer des Mengistu-Regimes auf über eine Million geschätzt. 1991 nahm eine Koalition äthiopischer Rebellengruppen die Hauptstadt ein und trieb Mengistu ins simbabwische Exil.

Ein Verfahren gegen die 73 Juntamitglieder wurde am 13. Dezember 1994 eröffnet; ein Sonderermittler für die Verbrechen der Mengistu-Diktatur eröffnete 1997 5.198 weitere Anklagen, davon 2.952 in Abwesenheit und 2.236 gegen bereits Inhaftierte. Die Prozesse schleppten sich hin und werden von Menschenrechtsorganisationen wegen Verfahrensmängeln kritisiert. Bis heute sind 1.017 Anklagen vor Gericht gekommen. Eine organisierte gesellschaftliche Vergangenheitsbewältigung gibt es in Äthiopien nicht.

Auf Völkermord steht in Äthiopien die Todesstrafe. Das Strafmaß gegen Mengistu wird am 28. Dezember verkündet. Vollstreckt wird es wohl sowieso nicht, denn der 69-Jährige lebt seit seinem Sturz in Simbabwe, als Gast und angeblich sogar Berater des dortigen Präsidenten Robert Mugabe. DOMINIC JOHNSON