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Archiv-Artikel

Der Gutenberg von Leichlingen

Als Johannes Gutenberg verkleidet zieht Hans-Josef Altmann über Mittelalter- und Weihnachtsmärkte in NRW. Mit Hilfe einer detailgetreuen Nachbildung der ersten Druckmaschine der Welt erzählt er spannende Geschichten über Buchdruckkunst

„Heute wollen die Leut‘ schreiben wie gedruckt, früher wollten sie drucken wie geschrieben.“„Altmann, der Gutenberg“ ist ein wandelndes Buch

VON LUTZ DEBUS

Stolz zeigt Hans-Josef Altmann den frischen Andruck. Auf schwerem Papier erkennt man in geschwungenen goldenen Lettern die bekannten Zeilen: „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.“ Hinter dem in einer historischen Kutte gekleideten Herren steht die Druckerpresse. Eine detailgetreue Nachbildung der ersten Druckmaschine der Welt von 1452. Der Nachbau von Hans-Josef Altmann ist zwar erst sechs Jahre alt, das fast ganz aus Holz gefertigte Gerät wird aber von vielen Flanierenden des Weihnachtsmarktes in Neuss bestaunt. Vor allem Kinder, die höchstens Laserdrucker und Fotokopiergeräte kennen, umlagern den Stand von „Altmann, der Gutenberg“. Der kleine hagere Mann aus Leichlingen bei Leverkusen ist ein lebendes Geschichtsbuch: „Heutzutage wollen die Leut‘ schreiben wie gedruckt, früher wollten sie drucken wie geschrieben.“

Tatsächlich sind die verschnörkelten Buchstaben des Lukasevangeliums nicht einfach zu lesen. Vorgänger der ersten Druckerpresse waren Wein- und Olivenpressen. Johann Gutenberg nutzte also eine schon weitgehend bekannte Technologie, berichtet dessen 45-jährige Kopie. Komplizierter war die Herstellung der Druckerplatte. Glühwein trinkende und Bratwurst kauende Passanten lauschen interessiert dem Fachvortrag. Der zeitgenössische Gutenberg erzählt ihnen von der Patritze, dem in Stahl geritzten Buchstaben. Dieser gibt der Matritze, einem aus Kupfer oder Messing gefertigten Abdruck, seine Form. Dann erst, mit Hilfe eines Handgießinstrumentes, werden mit einer Legierung aus Blei, Zinn und Animon die Druckbuchstaben gegossen. „Gutenberg benutzte damals schon Sollbruchstellen, um die Gussgrade problemlos zu entfernen. Eine echte High-Tech-Erfindung“, schwärmt Hans-Josef Altmann. 100.000 Lettern, so rechnet er den Umstehenden vor, brauchte man für eine Bibel. Gutenberg habe 290 verschiedene Buchstabenzeichen benutzt. „In einer Handschrift ändert sich der Buchstabe ja auch, je nachdem, welcher andere Buchstabe vor ihm steht, welcher ihm folgt.“ Gutenberg wollte und Altmann will drucken wie geschrieben.

Nicht nur zur Weihnachtszeit tingelt der Rheinländer mit seinem weißen Leinenzelt, seiner Druckerpresse und den vielen Utensilien von Marktplatz zu Marktplatz. Schulen, Bibliotheken und Museen buchen den Fachreferenten mit dem anschaulichen Unterrichtsmaterial. Absolute Highlights im Jahr sind für Altmann die mittelalterlichen Märkte, die im Sommer an vielen historischen Orten in NRW veranstaltet werden. Besonders der Markt in Schloss Burg nahe Remscheid biete da viele Möglichkeiten, sagt Altmann. Einen ganzen Rittersaal teile er sich dort mit einem Stand, an dem das Papierschöpfen gezeigt wird und einem anderen, an dem Bücher gebunden werden. So könne dort nah beieinander die ganze mittelalterliche Fertigungsstraße eines Buches verfolgt werden.

Aber auch ohne kollegiale Hilfe kann Altmann die verschiedenen Arbeitsschritte anschaulich erklären: Bücher wurden im 13. Jahrhundert nicht bloß gedruckt. Der Rubikator malte per Hand die ersten Buchstaben eines jeden Abschnittes auf das Blatt. Der Illuminator versah das Druckwerk mit Gold und bunten Farben. Diese wurden überwiegend aus Mineralien hergestellt. Und auch die Purpurschnecke fand dort ihre Bestimmung. Goldstaub in Eiweiß verrührt ergab die goldene Farbe. Altmann zuckt mit den Schultern. Diese Vorgehensweise kann er sich nicht leisten. Er benutzt Material aus dem Bastelgeschäft.

Dann schwingt er den mit Leder bezogenen Ballen, der die Platte mit Druckerschwärze benetzt. „Früher wurde dieser Ballen mit Hundeleder bezogen.“ Altmann nimmt ein leicht angewidertes Raunen seines Publikums in Kauf. „Hunde schwitzen nicht, haben keine Poren. So kann die Farbe nicht nach Innen sickern.“ Natürlich, so versichert er, sei sein Ballen nicht aus Hundehaut gefertigt. Dann weiht er die Umstehenden in die Rezeptur der Druckerschwärze ein. Ein Gemisch aus Leinöl und Ruß. Da Leinöl sich selbst entzünden kann, durften sich die entsprechenden Manufakturen nur vor den Stadtmauern ansiedeln. Wegen der Produktion von schwarzer Farbe sollten nicht ganze Städte in Flammen aufgehen.

Der inzwischen stattlich angewachsenen Menge von Schaulustigen erzählt Hans- Josef Altmann dann noch etwas von Johann Gutenberg. Gutenberg war nur der Name des Ortes, aus dem die Familie Gensfleisch stammte. Henne Gensfleisch, wie der Erfinder des Buchdrucks tatsächlich hieß, konnte auf eine gewisse Familientradition zurückgreifen. Der Vater war Goldschmied, der Großvater Münzpräger. „War Gutenberg fromm?“, unterbricht ein älterer Herr den Vortrag. Da lächelt Altmann. Er vermutet, dass Gutenberg nicht nur deshalb die Bibel gedruckt hat, weil er ein zutiefst religiöser Mensch war. Wenn zwei Sachen exakt gleich sind, war dies zu jener Zeit ein untrügliches Zeichen, dass es mit dem Teufel zugehe. Um den damals eifrig lodernden Scheiterhaufen zu entgehen, habe sich der Verleger Gutenberg wohl für dieses Buch entschieden. Ein Helfer des Teufels würde, so sein Kalkül, nicht die Heilige Schrift drucken.

Tatsächlich ist die Bibel, so erklärt Altmann, durch Gutenberg zum weltweit größten Bestseller geworden. Zu Gutenbergs Zeiten hat eine handschriftlich gefertigte Bibel so viel gekostet wie ein Bauernhof. Die gedruckte Bibel gab es dann schon für den Gegenwert eines Ochsen. Bildung war nicht länger nur noch ein Privileg der Oberschicht. Der Klerus, berichtet Altmann, hat damals dem einfachen Volk das Lesen der Bibel verboten.

Noch heute scheint die katholische Kirche nicht recht zu Gutenberg gefunden zu haben. Während „Altmann, der Gutenberg“ viele Vorträge in protestantischen und freikirchlichen Gemeinden hält, hat ihn von offizieller Seite bislang keine katholische Gemeinde eingeladen. Nur eine katholische Schützenbruderschaft aus Mönchengladbach hat ihn bislang gebucht. Im Schatten des mächtigen Quirinus-Münsters im erzkatholischen Neuss geht ein Vortrag zu Ende. Mit langem Applaus danken die Zuhörer.