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Archiv-Artikel

Wie bitter ist dieses Lachen

DOKUMENTARTHEATER Einzelschicksale: Die Reihe „Migrationsformate“ in Hamburg

VON KÜBRA GÜMÜSAY

Vernesa ist jung, witzig und hübsch. Eine Schauspielstudentin, die das Leben in vollen Zügen genießt. Zusammen mit ihrem Freund liegt sie auf einer Dachterrasse und raucht. Plötzlich entdeckt sie einen roten Punkt auf ihrer Schulter. Ein Zigarettenfunken, glaubt sie, und schnipst ihn weg. Sie schüttelt ihr lockiges blondes Haar und lacht. Oh, noch so einer, da auf der Brust. Und jetzt wieder hier auf der Schulter. Sie versucht das Pünktchen wegzuwedeln und lacht lauter. Auch das Publikum stimmt in ihr Lachen mit ein. Da hört Vernesa auf zu lachen: Der rote Funken ist der Laserpunkt eines Scharfschützen. Sarajevo, kurz vor Kriegsbeginn.

Auch das Gelächter im Publikum verstummt. Die Last der Gratwanderung zwischen der panischen Todesangst vor dem Krieg und dem Drang nach Normalität liegt in der Luft. Ein Hin und Her. Zwischen Krieg und Alltag – und dem Leben in Deutschland: Das Dokumentartheaterstück „Landschaften“ handelt von drei jungen Bosniern, die vor dem Krieg nach Deutschland flüchten. Im Hamburger Theaterzentrum Kampnagel stehen sie nun – als gestandene deutsche Künstler – vor uns und synchronisieren die Videoaufzeichnungen hinter ihnen auf der Leinwand. Dort beschreiben sie in ihrer Muttersprache ihre Jugend und die Flucht nach Deutschland.

Das Publikum wird vorsichtig. Die Reihe „Echt – Migrationsformate“ entschleunigt auf Kampnagel die laufende Integrationsdebatte. Sie konzentriert sich auf Einzelschicksale. Es geht nicht um abstrakte Politik und Metathesen-Gerede, sondern um die nackte, subjektive Realität einzelner Menschen. Um das wütend-enttäuschte Weinen der jungen Vernesa, als sie erfährt, was das Wort „Duldung“ in ihrem Pass bedeutet.

Auch Jons Vukorep, der als Kunststudent früh aus Sarajevo nach Deutschland floh, beschreibt seine Frustration. Die Medien berichten ihm zu oberflächlich vom Krieg. Am Abend der Kunstausstellung seiner damaligen Freundin merkt er, wie wenig er eigentlich dazugehört. An dem Tag hatte ihn eine Todesnachricht aus Bosnien erreicht.

Bei den Migrationsformaten geht es auch um den schwulen Bülent. Als „Ralf Becker“ meldet er sich freundlich in perfektem Hochdeutsch und mit Headset auf dem Kopf. Seit fünf Jahren schon arbeitet er in einem Istanbuler Callcenter und betreut für deutsche Firmen wie Neckermann und Lufthansa Kunden aus Deutschland. Dem Land seiner Sehnsucht. Seiner Heimat. Bülent ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Bei der Rückwanderung in die Türkei nahmen ihn die Eltern gegen seinen Willen mit. Gebunden an den Pass der Mutter, saß er fest in einer ihm fremden Welt.

Bülent ist einer von vielen Deutschtürken in der Türkei. Genau wie die drei anderen Protagonisten Murat, Fatos und Cigdem des Dokumentarfilms „Wir sitzen im Süden“ von Martina Priessner umgibt auch er sich bis heute hauptsächlich mit anderen Deutschtürken. Bülent beschreibt den Moment, als er für das Bewerbungsgespräch das Istanbuler Callcenter betritt und vor Glück überwältigt ist: Im Großraumbüro sprechen alle Deutsch, es gibt deutsches Essen und deutsche Schilder. Deutschland in Istanbul. Seine Wohnung nennt er liebevoll „Fünfzig Quadratmeter Deutschland“.

Unverständlich ist aber diese Deutschlandliebe für das Hamburger Publikum. In der Diskussion im Anschluss an den Film geht es auch um das verzerrte Deutschlandbild der Protagonisten. Ein Deutschland ohne Rassismus und Diskriminierung? Dabei sind das doch Themen, die dem gutsituierten Kampnagel-Publikum wichtig sind. Wie kann man trotz allem hierher wollen? „Die Erfahrung müssen sie selber machen“, sagt die Regisseurin Priessner. Sie unterstützt deshalb Bülent und einige andere in ihrem Vorhaben, nach Deutschland zurückzukehren.

Oft und viel wurde während der „Migrationsformate“ gelacht. Zum Beispiel, als Bülent in der Küche steht. „Außen Toppits, innen Geschmack“, singt er und hält die Backpapier-Packung hoch. Das Publikum lacht. Auch Bülent im Film lacht, es ist aber ein anderes Lachen. Das wird während der vier Tage auf Kampnagel deutlich. Der Humor ist schwarz, und das Lachen der Betroffenen ist bitter. Es ist für sie eine Möglichkeit, sich mit ihrer Situation abzufinden. Darf man mitlachen?, frage ich mich.

Zurück zur Bosnierin Vernesa. Verdreckt und müde ist sie in Berlin angekommen und kratzt mit Freunden ihr letztes Geld zusammen, um sich ein Taxi zu nehmen. Als sie einsteigen, dreht sich der Taxifahrer irritiert um: „Was habt ihr denn getrieben?“ – „Ach nichts“, antwortet Vernesa. „Wir waren bloß campen.“