David in Wonderland

Der Mode- und Promifotograf David LaChapelle steigt zusammen mit dem Kriegsfotografen James Nachtwey in den Bus in eine monströse Realität

VON BRIGITTE WERNEBURG

Bei der Party, die Galerist Raffael Jablonka letzten Donnerstag zu Ehren von David LaChapelle gab, soll dessen Muse Armanda Lepore irgendwann in Clärchens Ballhaus nackt auf dem Tisch getanzt haben. Als die Rede davon die Runde machte, klang es so, als habe man den Auftritt des ehemaligen Armand, nun zur überperfekten Armanda hinoperiert, unbedingt miterleben müssen, um LaChapelle und seine Fotografien wirklich zu verstehen.

Sollte sich David LaChapelles überdrehter Celebrities-Kosmos tatsächlich über die Wirklichkeit und nicht über seine Bilder erschließen?! Immerhin ist LaChapelle als Fotograf ein Star, der sagt: „Wer Realität will, soll den Bus nehmen.“

So gesehen war es keine dumme Idee der Helmut Newton Stiftung, statt mit Wirklichkeit mit noch mehr Bildern zu operieren. Unpassenden Bildern. Mit Männerporträts von Helmut Newton. Und Kriegsfotografien von James Nachtwey. Natürlich wirkt die Zusammenstellung, zumal unter dem pathostriefenden Titel „Men, War & Peace“, zunächst einmal extrem gezwungen. Aber es ist interessant, die 28 Arbeiten von LaChapelle in der Einzelausstellung bei Jablonka zu sehen, um sie dann noch einmal unter den 44 Großformaten in direkter Nachbarschaft zu Nachtweys Kriegsbildern wiederzufinden. Denn es erweist sich, dass es mit der Wirklichkeit – also LaChapelles öffentlichem Personennahverkehr – eine seltsame Bewandtnis hat.

Schaut man sich nämlich die Fotografien von Nachtwey an, die ganz zweifellos jener realen Welt entstammen, in der man Bus fährt, möchte man behaupten, diese Welt sei von einem ebenso mächtigen Ehrgeiz zur surreal-perversen Inszenierung beherrscht wie LaChapelles fantastische Welt der Werbe-, Mode- und Glamourfotografie. Umgekehrt scheinen ausgerechnet dessen Bilder äußerst realistische, geradezu dokumentarische Aspekte aufzuweisen.

Auf eine vertrackte Weise nämlich laden sich die Bildwelten der beiden Fotografen gegenseitig auf. Die verwunschene Madonna mit Kind, wie sie in LaChapelles „House at the End of the World“ in ihrem roten Steppdeckenmantel mit Daunenkissenkapuze vor dem vom Hurrikan verwüsteten Haus steht: Sie schaut keinen Deut abartiger aus als die in ihrer Burka gefangene Frau, die Nachtwey in „Afghanistan“ vor einem Grab knien sah. Fast scheint es so, als ob die Monstrosität der Burka erst durch die bewusst inszenierte, monströse Montur des Fotomodels richtig gedeutet ist. Und dann erinnert man sich, wie LaChapelle auf der Pressekonferenz erzählte, dass er zur Zeit des Schuhe-Shootings – denn davon handelt die Madonna – wegen der Hurrikan-Saison in Sorge um seine Mutter war; eine Sorge, die er sofort in seinen Bildern verarbeitete. Als diese dann in der Vogue erschienen, war New Orleans gerade in den Fluten von „Katrina“ untergegangen. Die Modestrecke wirkte nachgerade wie eine Begleitdokumentation.

Auch LaChapelles Foto eines süßlichen Jesu, der mit einer schrillen Maria Magdalena und zwei Cops an einer nächtlichen Straßenecke steht, verliert seine blasphemische Frömmelei, sobald einem Nachtweys Palästinenserjunge im Straßenkampf von Ramallah in den Sinn kommt. Obwohl der Herzjesus eines der Bildchen zitieren könnte, mit denen im Katechismusunterricht Fleiß belohnt wird, scheint es genauso möglich, dass das Bild eine alltägliche Situation in Downtown L.A. dokumentiert. Denn die Cops werden Jesus, wie andere Homeless dieser Gegend auch, wegen seinem Ausweis in die Mangel nehmen. Und wahrscheinlich werden sie ihn sogar wegen Unzucht belangen, weil es in Kalifornien verboten ist, Prostituiertendienste in Anspruch zu nehmen.

Natürlich wird auch in der Ausstellung „Heaven to Hell“ bei Jablonka deutlich, dass Grauen und Glamour für LaChapelle so ziemlich das Gleiche bedeuten. Dass er sämtliche Prominente, die es vor seine Kamera drängt, als Freaks inszeniert – nur Liz Taylor ist schon im Originalzustand verschroben genug. Ja, man glaubt sich in einer kongenialen Fortsetzung von Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“. Und dennoch, anders als in der Newton Stiftung, erschöpft sich „Heaven to Hell“ schnell in schierer Popkultur.

Weil die schrillen Farben ziemlich undifferenziert erscheinen, gleichgültig ob bei satten Hauttönen oder im prallen Kolorit von Accessoires und Kleidern, schauen die Großformate mehr wie Plakate denn wie teure Prints aus. Auf eine fatale Weise werden sie ihre Coverbildästhetik nicht los. Den frechen Aberwitz, den surrealistischen Mutwillen und den durch und durch vulgären Sexappeal seiner Bilder – kurz, all das, wofür man David LaChapelle schätzt – genießt man mehr beim Durchblättern von Interview (Andy Warhol engagierte den knapp 18-Jährigen noch selbst), von i-D, Vogue oder Rolling Stone als an der Galeriewand.

Bis 17. 2., Galerie Jablonka, Kochstr. 60, Di.–Sa. 11–18 Uhr; bis 20. 5., Helmut Newton Stiftung, Jebensstr. 2, Di.–So. 10–18 Uhr