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Archiv-Artikel

Fischer wusste mehr

Außenminister war über Fall Kurnaz offenbar besser im Bilde als zugegeben. Auch Kanzler Schröder schwieg

HAMBURG afp/taz ■ Nach einem Bericht der Hamburger Zeitschrift Stern war der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) offenbar stärker als bisher bekannt in den Fall des Bremer Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz involviert. In seinem Ministerium wurde demnach im Januar 2002 geplant, einen Konsularbeamten „zwei Tage zur Befragung“ des inhaftierten Kurnaz in das US-Gefangenenlager zu schicken, gemeinsam mit einem BND-Mitarbeiter. Details habe Fischers Staatssekretär Gunter Pleuger mit dem damaligen BND-Chef Hanning verabredet. „Vorgang liege bei BM Fischer“, zitiert der Stern dazu einen Vermerk aus dem Kanzleramt.

Nur Tage später schrieb Fischer an Kurnaz’ Familie in Bremen, die damals nicht wusste, wo ihr Sohn war: „Sobald wir Näheres über das Schicksal Ihres Sohnes erfahren, werden wir Sie umgehend unterrichten.“ Da Kurnaz allein die türkische Staatsbürgerschaft besitze, seien „unsere Möglichkeiten sehr beschränkt“. Von dem US-Angebot der US-Behörden, die Deutschen könnten Kurnaz in Guantánamo sprechen, erwähnte Fischer damals nichts. Letztlich reiste dann kein deutscher Diplomat nach Guantánamo.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vermied es bei mehreren Treffen mit US-Präsident Bush, den Fall Kurnaz anzusprechen. Schröder bestritt kürzlich in einem Fernseh-Interview, als Regierungschef mit dem Thema befasst gewesen zu sein. Doch vor einer Reise Schröders nach Washington empfahl das Kanzleramt nach einem Aktenvermerk, der dem Stern ebenfalls vorliegt: den Fall Kurnaz „nicht aktiv ansprechen“.

Wie bereits bekannt, berieten dann im Oktober 2002 die Präsidenten der deutschen Sicherheitsbehörden sowie ausgewählte Staatssekretäre über ein US-Angebot, Kurnaz freizulassen. Geleitet wurde die Runde vom heutigen Außenminister und damaligen Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Obwohl Experten von Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz sowie US-Vernehmer Kurnaz für unschuldig hielten, habe die Runde auf Empfehlung des damaligen BND-Chefs und heutigen Innen-Staatssekretärs August Hanning entschieden, eine Einreisesperre gegen den Bremer zu verhängen. Daraufhin blieb Kurnaz weitere vier Jahre in Guantánamo.

Am heutigen Donnerstag treten Steinmeier und Fischer als bisher prominenteste Zeugen vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags auf. Dort steht allerdings die Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khaled El Masri durch CIA-Agenten auf der Tagesordnung.