„Informativ wie Klopapier“

NAHRUNGSMITTEL Kräutergeschmack, der keiner ist: Udo Pollmer erklärt, „was Etiketten verschweigen“

■ 60, Lebensmittelchemiker, leitet das „Europäische Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e. V.“

taz: Herr Pollmer, komme ich als Esser um Zusatzstoffe in der Nahrung herum?

Udo Pollmer: Die meisten Zusatzstoffe finden sich dort, wo „gesund“ drauf steht. Dort nimmt man meist etwas raus, was eigentlich rein gehört, oder fügt etwas hinzu, was eigentlich nicht hineingehört. Aber auch im Bereich der Convenience-Produkte wird viel mit Zusätzen gearbeitet, oftmals mit Imitaten, die man nicht in erkennbarer Weise deklarieren muss. Statt E 392 steht dann „Rosmarinextrakt“ drauf – und alle glauben, das sei Kräutergeschmack.

Klingt nach Augenwischerei.

Es handelt sich dabei um die so genannten funktionalen Additive: Man zieht aus einem Bestandteil eines Lebensmittels etwas heraus, bearbeitet es ein bisschen, und schon hat man ein Konservierungsmittel oder Hydrocolloid oder einen Emulgator. Alle drei stehen dann auf dem Etikett mit dem Sammelbegriff „Milcheiweißerzeugnis“. Das ist so informativ wie eine Rolle geblümtes Klopapier.

Das Problem sind die Vorgaben, was die Deklaration angeht?

Ja, aber auch die Erwartungen des Kunden: Er will alles genau deklariert haben – und dann noch „verständlich“. Lebensmittelproduktion ist genauso anspruchsvoll wie der Bau eines Motors. Den kann ich auch nicht mit Küchenlatein erklären. Ich würde mir wünschen, dass die vollständigen Angaben auf der Internet-Seite einer Behörde nachzulesen sind. Der Hersteller ist für Angaben verantwortlich, die Behörde überprüft das.

Ist das Herstellen von Essen wirklich so kompliziert?

Lebensmittelproduktion ist High Tech. Neben den Zusätzen spielen neue technologische Verfahren eine zentrale Rolle. Diese Verfahren werden nicht deklariert und sie sind mit der Werbung der Hersteller, die so gern das idyllische Leben auf kleinen Bauernhöfen aufgreifen, nicht zu vereinbaren. Da gibt es ein ausgewachsenes Kommunikationsproblem, wofür Gesetzgeber, Lebensmittelwirtschaft und Medien mitverantwortlich sind.

Wie kam es dazu, dass Sie das Zusatzstoffmuseum hier in Hamburg mitaufgebaut haben?

So ein Museum bot erstmals die Möglichkeit, die Öffentlichkeit ohne Werbedurchsagen und Verschleierungstaktiken aufzuklären. Seither hat sich der Informationsfluss verbessert. INTERVIEW: KNUT HENKEL

19 Uhr, Deutsches Zusatzstoffmuseum, Banksstraße 28/Großmarkt