: „Ich wäre ein Märtyrer“
INTERVIEW KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER
taz: Herr Faber, die Ministerpräsidenten haben einen Staatsvertrag beschlossen, der privates Glücksspiel verbietet. Müssen Sie Ihre Lotto-Firma jetzt dicht machen?
Norman Faber: Erst einmal muss ich gar nichts dicht machen. Der Vertrag ist ja noch nicht einmal unterschrieben.
Das ist aber nur eine Frage der Zeit.
Wenn es so kommt, wäre das das Ende – und zwar gleich in mehrerer Hinsicht. Das Schlimmste ist die Genehmigungsklausel. Ich würde niemals in allen Bundesländern eine Erlaubnis bekommen, um weiter meine Systemtipps zu vermitteln. In Nordrhein-Westfalen, vielleicht in Niedersachsen, aber sonst? Dazu kommt das Werbeverbot: Ich lebe davon, Menschen anzusprechen.
Die Ministerpräsidenten setzen doch die Forderung des Bundesverfassungsgerichts um, die Spielsucht zu bekämpfen.
Das ist kompletter Unsinn. Erstens hat sich das Bundesverfassungsgericht nur auf Sportwetten bezogen, nicht auf Lotto. Und zweitens gibt es überhaupt keine Spielsucht beim Lotto. Alle wissenschaftlichen Studien bestätigen das.
Spielen macht nicht süchtig?
Ich habe in dieser Woche gelesen, dass die Menschen im Winter mehr Schokolade essen, weil sie in der Dunkelheit die Glückshormone brauchen. Ist das verwerflich? Wollen Sie Schokolade verbieten? Die Werbung, die jetzt verboten werden soll, hat schon mal gar nichts mit Sucht zu tun. In den vergangenen Jahren sind die Werbeausgaben für Lotto stark gestiegen – und trotzdem spielen nicht mehr Leute mit. Wenn jetzt die Werbung im Internet verboten wird, versetzt das Deutschland in die Steinzeit zurück. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns von ganz Europa abkoppeln. Ich hoffe, dass die Europäische Union und der Europäische Gerichtshof das nicht zulassen.
Ihre Postwurfsendungen sind berühmt-berüchtigt – und die dürften Sie auch weitermachen.
Aber laut Staatsvertrag darf ich darin in keiner einzigen Formulierung zum Glücksspiel aufrufen. Können Sie mir erklären, wie ich das machen soll? Das geht nicht. Mein gesamtes Angebot wird kriminalisiert. Wahrscheinlich werden in den einzelnen Ländern dann auch Haftstrafen auf die Verletzung des Werbeverbots ausgeschrieben, in Sachsen-Anhalt ist es ja schon so weit. In diesem Fall hätte ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich wandere als Märtyrer ins Gefängnis, oder ich mache meinen Laden zu.
Wie erklären Sie sich das Verhalten der Ministerpräsidenten?
Ich versuche jeden Tag, mir das zu erklären. Die einzige plausible Möglichkeit ist, dass sie nicht über die Auswirkungen dessen informiert sind, was sie da tun.
Haben Sie mit den Länderchefs darüber gesprochen?
Mit den Ministerpräsidenten konnte ich nicht sprechen, aber mit zahlreichen zuständigen Ministern. Das Skurrile ist: Die Reaktionen waren überall positiv. Niemand, der sich damit beschäftigt hat, wünscht sich diesen Staatsvertrag. Ich habe den Eindruck, dass sich die Ministerpräsidenten schon vor Monaten irgendetwas in die Hand versprochen haben, ohne zu wissen, was es ist. Außerdem glaube ich, dass da Verwaltungsbeamte und Juristen in den Staatskanzleien am Werk sind, die mit einer großen Energie daran arbeiten, uns fertig zu machen. Eigentlich müsste man zu dem Wort Energie noch einen Zusatz hinzufügen.
Welchen Zusatz?
Überlegen Sie mal.
Kriminelle Energie?
Das haben Sie gesagt.
Haben Sie den Eindruck, dass Glücksspiel in Deutschland ein Schmuddelimage hat?
Das empfinde ich nicht so. Auch nicht in den aktuellen Gesprächen mit der Politik. Die meisten erkennen durchaus, dass unsere Branche ernstzunehmen und volkswirtschaftlich von Bedeutung ist. Im Gegenteil: Von vielen, die heute für ein Monopol kämpfen, bin ich früher hofiert worden.
Die Branche hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt. Es sind viele neue Anbieter hinzugekommen, vor allem über das Internet. Hat das dem Ruf geschadet?
Es gibt überall schwarze Schafe. So zu tun als ob der Glücksspielsektor besonders betroffen ist, habe ich immer für unseriös gehalten.
Fühlen Sie sich derselben Branche zugehörig wie die Betreiber von kleinen Sportwetten-Büros?
Sportwetten sind nicht meine Passion. Sicher ist die Suchtgefahr bei Sportwetten auch etwas höher als beim Lotto. Es geht dabei nicht um den Reiz des hohen Gewinns, sondern um den Reiz, Recht zu behalten. Trotzdem bin ich dagegen, sie zu verbieten. Ich weiß außerdem von keinem Wettanbieter, der seinen Kunden die Gewinnsummen nicht ausgezahlt hat.
Sie waren Hauptsponsor des VfL Bochum, nun stiften Sie den Symphonikern für fünf Millionen Euro eine neue Spielstätte. Tun Sie das auch, um mit Ihrem gesellschaftlichen Engagement zu werben?
Dass die Sache mit dem Konzerthaus zeitlich mit der jetzigen Auseinandersetzung zusammenfällt, ist reiner Zufall. Glauben Sie mir: Wenn ich das nur täte, um mein Geschäft zu retten, würde mir das auch nicht helfen.
Was macht für Sie eigentlich den Reiz am Lotto-Spielen aus?
Zunächst einmal das Spiel mit der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich werden Sie nie einen Millionengewinn landen. Aber es ist immer möglich, dass es klappt. Außerdem hat Lotto auch immer eine gesellschaftliche Ventilfunktion gehabt. Es ist ein Hoffnungsschimmer für jeden, aus dem tristen Leben zu entkommen.
Wie sind Sie zu Ihrem Geschäftsmodell gekommen?
Ich hatte so eine Art Schlüsselerlebnis, als ich 15 war. Ich habe damals Lotto gespielt und hatte vier Richtige. 22 Mark habe ich dafür bekommen und habe mich gleich gefragt, warum es nicht 60 oder 70 sind. Also habe ich begonnen, mich als erster wissenschaftlich mit dem Thema Lotto auseinanderzusetzen. Die Grundlage des Systemtipps ist einfach: Es gibt Lottoreihen, die häufiger getippt werden als andere. Also muss man seinen Gewinn mit mehr Leuten teilen. Das Ziel ist es also, seltene Kombinationen zu tippen, dann bleibt für den Einzelnen mehr. Das herauszufinden, war damals eine Revolution.
Was hat sich in den 30 Jahren verändert, in denen Sie im Geschäft sind?
Als ich angefangen habe, war es verpönt zuzugeben, dass man Lotto spielt, vor allem in der Oberschicht. Das war ein gesellschaftliches Tabu. Mittlerweile ist diese Auseinandersetzung aber längst vorbei. Sonst hätten wir ja auch nicht 300.000 Kunden.
Ist aus dem kulturellen Kampf um die Akzeptanz von Lotto in Deutschland ein Verteilungskampf geworden?
Machtkampf passt besser. Wenn die Länder uns jetzt so angehen, kann man ja auch einmal sagen, wie es ist: Lotto war immer ein System, das auf Versorgung ausgerichtet war. Die Parteien haben über die Lottogesellschaften ihre Pfründe verteilt. Verdiente Parteimitglieder konnte man da gut mit Posten versorgen, wenn man sie in der Politik nicht mehr gebrauchen konnte. Das hat sich über Jahre entwickelt, und gegen diese Strukturen kann man nur schwer angehen.
Waren Sie nicht selbst Teil dieses Systems?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe mich eigentlich immer als ein Außenstehender gesehen. Wir haben ja nur vermittelt und nicht selbst eine Lotterie angeboten. Für uns galten immer die Gesetze des Marktes. Das müssen Sie sich so vorstellen wie bei einem Ersatzteilhändler für VW: Wir waren an das System Lotto angedockt, aber gehörten nicht wirklich dazu.
Wie war Ihr Verhältnis zu den Lotto-Direktoren?
Zu denen, mit denen wir Geschäfte gemacht haben, war das Verhältnis gut. Zu den anderen nicht. Man hat immer wieder versucht, uns loszuwerden. Das ging ja in den 90er Jahren bis vor das Bundeskartellamt und den Bundesgerichtshof. Wir haben immer gewonnen.
Werden Sie wieder klagen, wenn der Staatsvertrag umgesetzt wird?
Ich hoffe nicht. Das wäre der worst case. Es bringt mir nichts, in vier Jahren Recht zu bekommen und meine Mitarbeiter sind dann alle weg. Außerdem baut das Systemlotto auf Kontinuität: Das Know-how, das Vertrauen und den Kundenstamm, den ich mir in 30 Jahren aufgebaut habe, bekomme ich nie wieder.
Was haben Sie dann vor?
Natürlich werden wir umfänglich klagen. Wir prüfen alles. Vor allem wird es Informationskampagnen geben. Wir werden die Abgeordneten in allen 16 Landtagen direkt ansprechen.
Per Postwurfsendung?
Das ist jetzt gemein (lacht). Aber ja, vielleicht auch per Postwurfsendung. Wir werden auch die Bevölkerung informieren, zur Not auf drastische Art und Weise. Lotto ist ein Teil der Gesellschaft. Wenn das zerstört wird, geht sie das an.
Ist es für Sie denkbar, noch einmal ein anderes Geschäft aufzuziehen?
Auch wenn es für meine 450 Mitarbeiter hart wäre – ich könnte mir auch vorstellen, ins Ausland zu gehen. Wir haben das Management dafür, unser Geschäft über das Internet weiterzuführen, vielleicht für britische Anbieter. Das Internet kriegen ja selbst die Kommunisten in China nicht kaputt, das schafft auch die NRW-Landesregierung nicht.
Und wenn Sie doch scheitern?
Ich werde nicht scheitern.
Würden Sie darauf wetten?
Eigentlich rechne ich lieber. Aber darauf würde sogar ich wetten.