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Archiv-Artikel

Die dümmste Saison aller Zeiten

Heute geht die Fußball-Bundesliga in die Winterpause. Eine notwendige Halbzeitbilanz

Der ganze Stuss begann mit der wahnsinnigen Schalker Devise: „Totale Dominanz“

Den überzeugendsten Satz des Fußballjahres 2006 sprach Franz Beckenbauer, nachdem er während der Weltmeisterschaft zum dritten Mal in seinem gegenwärtigen Leben ein Weib geehelicht hatte – „nebenbei“, wie die ergebene Presse unisono begeistert berichtete. „Man heiratet ja auch nicht jeden Tag, nicht einmal ich“, verkündete der Unberührbare und rechtfertigte durch derlei Gebrabbel einmal mehr, dass die B.Z. Sport in der Tradition der deutsch-kaiserlichen Hagiografie 1914 ff. auf ihrer Seite eins titeln konnte: „Der Kaiser spricht“.

Da hatte sich der Giesinger Rotzlöffel auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern längst als Präsident wiederwählen lassen, nach einer offenbar abermals fulminanten Rede, mit der die „fünfte Kaiserzeit“ (Financial Times Deutschland) anbrach, weshalb www.glaubeaktuell.net jubilierte: „Freibier nach Beckenbauer-Wahl“. Das war’s dann aber auch schon. Lassen wir nämlich Beckenbauers Prunk- und Heroenworte samt Wirkungen außer Acht, so geht die erste Hälfte der Spielzeit 2006/07 als die mit Abstand dümmste Hinrunde aller Zeiten in die Geschichte des deutschen Profifußballs ein.

Der ganze Stuss begann bereits damit, dass Schalkes Skilehrer Mirko Slomka vor dem Saisonstart an seine Spieler T-Shirts mit dem Aufdruck „Totale Dominanz“ verteilen lassen wollte. Von der Idee ungeheuer beeindruckt, schieden die käsigen Knappen anschließend im Uefa-Cup gegen irgendeinen lettischen oder rumänischen Pfeifenverein aus. Oder war’s die dämliche Hertha, die in Osteuropa für den deutschen Spitzenfußball geworben und demütig demontiert die Heimreise angetreten hatte? Um später als einer der allerunbedarftesten und unrühmlichsten und unausstehlichsten Klubs der Fußballweltgeschichte sogar kurzzeitig die Tabellenführung innezuhaben – wie Schalke 04, das den himmelschreienden Widerspruch zwischen Meisterschaftsanwartschaft und internationalem Flaschentum durch einen wochenlangen Medienboykott krönte.

Weiß der Ede Geyer, jedenfalls vermeldete Hertha BSC zum Jahresabschluss einen verdienten Rekord von 55,4 Millionen Euro Schulden. Chefcoach Falko Götz furunkelte daraufhin öffentlich, die vielen Granaten aus der eigenen Jugend machten „für die Zukunft unglaublich Hoffnung, dass wir einmal einen Titel holen“, und sei’s den des Charlottenburger Taschenbillardspielerchampionats.

Topmanager Dieter Hoeneß, auch so eine Nuss vor dem Herrn, musste derweil für seine zur üblen Gewohnheit gewordene Randale gegen Schiedsrichter büßen. Am 28. Oktober hatte er in Cottbus mal wieder den Referee Lutz Wagner als Halunken oder Russen oder was weiß ich tituliert und durfte 5.000 Euro an die Egidius-Braun-Stiftung überweisen. In der Nähe von Brauns Heimat Aachen, in einem Soziotop der Tollhäusler und Vollidioten namens Köln, wurde unterdessen der Handaufleger Christoph Daum vom Krankenbett aus und mit Hilfe des vor nichts zurückschreckenden Kölner Express an den 1. FC vermittelt – nach einem beschämend obszönen Affentheater aus Dementis und Schwüren und sonstigem verbalem Schleim, das infolge der Vertragsunterzeichnung eine flächendeckende ekstatische Begrüßung des „Wundermannes“, „Heilsbringers“ und „Messias“ nach sich zog – „kreischende Mädchen“ (Berliner Kurier) inklusive.

Man ist versucht, Rolf Dieter Brinkmann zu zitieren, dem zur Domstadt mal einfiel: „Diese Scheißmenschen, die nur noch scheißen können, in Köln“ – und findet das doch ein wenig zu degoutant. Franz Beckenbauer wiederum ließ sich hinsichtlich der Rückkehr des GröSpaZ (Größten Spruchbeutels aller Zeiten) vernehmen: „Daum ist ein Motivationsmensch, einer, der andere in seinen Bann ziehen kann. Ich bin gespannt auf seine Erfolge.“ Die blieben allerdings aus, und Daum sah sich mit holzbrettoriginellen Headlines wie „Aus der Daum“ und „Alpdaum“ konfrontiert, woraus der alte Nasenbär die triftige Konsequenz zog, die Weihnachtsfeier abzublasen.

Der deutsche Fußball spinnt. Thomas Doll, der derzeit drolligste Wirrling unter den Trainern, kürzt den Winterurlaub seiner Schützlinge um eine Woche, statt den eigenen um ein, zwei Jahre zu verlängern, und wenige Tage später werden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesliga Journalisten von einer HSV-Mitgliederversammlung ausgeschlossen. HSV – heiliger Strohsack, verdammt!

Dafür stellen die Bremer mit drei Auswärtssiegen, bei denen die „Weseranrainer“ (Manni Breuckmann) jeweils sechs Treffer erzielen, eine neue Bestmarke auf, sehen in der Champions League bei Barça dennoch keinen Deich und schauen belämmert zu, wie sich ihr Star Diego in den Northeimer Führerscheinskandal verwickeln lässt.

Was ist das für eine Liga – wenn der 1. FC Nürnberg trotz „rekordverdächtigen 29 Auswärtstorschüssen“ (Mittelbayerische Zeitung) nicht mal in Aachen zu gewinnen vermag? Muss sie wiederaufgelegt werden, die ehrwürdige Schlagzeile der Abendzeitung: „Der Club ist ein Depp“? Was ist der deutsche für ein Pflaumenfußball, wenn selbst die Torwächter eine nie gekannte Schwäche befällt und „die Torwart-Rotation“ zur „neuen Mode“ (Neue Frankfurter Presse) wird? Wenn die Bayern so oft die Segel streichen wie Jahrhunderte nicht mehr – und ihr Oberkasper, der Franz, zwischendurch, auf internationalem Parkett wandelnd, kundtut: „Der Fifa-Präsident Joseph Blatter ist der beste, den wir haben“?

Wie viele Fifa-Präsidenten haben wir denn? Und haben sie die noch alle? JÜRGEN ROTH