: Schönheit des Desasters
Über echte und artifizielle Stürme: Die Foto- und Videotriennale „ecotopia“ in New York räumt mit Plattitüden der Umweltbewegung auf. Gezeigt werden ökologische Visionen von großer Prägnanz
VON DANIEL SCHREIBER
Es hatte des großen Sturms über der Golfküste bedurft. Sechs Jahre nachdem die amerikanische Regierung dem Kiotoprotokoll kaltblütig die Schulter gezeigt und eine ohnehin schon florierende Ölindustrie fröhlich weitersubventioniert hat, braut sich im größten Treibhausgasproduzenten der Welt ein zaghafter politischer Sturm zusammen. Doch leider findet er vor allem in einem gut von Fernsehkameras ausgeleuchteten Wasserglas statt. Arnold Schwarzenegger verabschiedet eine CO2-Emissionsregelung gerade rechtzeitig, um sich von den umweltbewussten kalifornischen Wählern im Gouverneursamt bestätigen zu lassen. Und Ex-Vizepräsident Al Gore betreibt mit seinem dokumentarischen Kassenschlager „An Inconvenient Truth“ so viel gut gemeinte umweltpolitische Aufklärungsarbeit wie gut platzierte Imagepflege.
Aber König der Show-Maßnahme bleibt der unvergleichlich zynische George W.: Nachdem er bemerkt hat, dass sich in Amerika mit dem realen Klima auch das öffentliche Klima zunehmend wandelt, gibt er sich plötzlich als jemand mit ökologisch reiner Weste und fordert die Autoindustrie augenzwinkernd zur Entwicklung benzineffizienterer Autos und nichtfossiler Treibstoffalternativen auf.
Umweltpolitisch befindet sich Amerika auch über ein Jahr nach „Katrina“ noch weitestgehend in einem Zustand der Ruhe vor dem Sturm. Das dürften die fünf Kuratoren vom New Yorker International Center of Photography im Hinterkopf gehabt haben, als sie ihre diesjährige Triennale „ecotopia“ einem der wichtigsten Trends in der zeitgenössischen Fotografie und Videokunst widmeten. Während nämlich die Landschaften um uns herum langsam verschwinden, werden sie von Künstlern als Sujet, Motiv und Projektionsflächen ökologischer Utopien wiederentdeckt. Nur haben die neuen Fotos und Videos nichts mehr mit den majestätisch-sublimen Erbauungsbildern oder den fotojournalistischen Katastrophenwarnungen der klassischen Landschaftsfotografie gemein.
Auch bildnerische Umweltbewegungsrhetorik ist selten anzutreffen. Die nachhaltigsten Arbeiten in „ecotopia“ zeigen vielmehr auf, dass das Desaster schon lange stattgefunden hat. Worauf sie abzielen, ist die postapokalyptisch-sublime Stille, die nach dem Sturm einsetzt.
So sind dann auch die Ausstellungsfotos der klassischen Black-Box-Dia-Show weniger beeindruckend, die brav Umweltkatastrophen wie den Tsunami, „Katrina“, die Tierartenausrottung in Asien oder die Abholzung des südamerikanischen Regenwalds durch US-amerikanische Unternehmen wie Chevron dokumentiert. Trotz ihres willkommenen Agitationswerts.
Fotos wie die des Amerikaners Mitch Epstein sind ungleich wirksamer. Direkt hinter einem idyllischen Zweifamilienhaus dampfen hier die Krater eines Atomkraftwerks und Orkane richten Zerstörung von unvergleichlicher Eleganz an. Zunächst nehmen diese Bilder durch ihre formale Schönheit ein, nur um danach im wehrlosen Zuschauer – der langsam entziffert, was sie eigentlich bebildern – ihre Wahrnehmungsbomben zu legen. In „Biloxi“, einem der eindringlichsten Fotos der Ausstellung, gleicht das stimmungsvolle Abendlicht dem hübschen, surrealistischen Machwerk eines Dali, so gut sehen die Ruinen des Badestrandanwesens im „Katrina“-verheerten Bundesstaat Mississippi aus. So perfekt sind eine Matratze, Teppichreste und Müllbeutel in den Ästen eines abgestorbenen Baums platziert. So malerisch liegt das umgestürzte Auto auf seinem Dach, die Räder in der Luft. So unschuldig rauscht im Hintergrund der pittoreske Atlantik.
Bei solchen Arbeiten geht es zum einen um das ästhetische Potenzial einer Natur, die dem Menschen unheimlich geworden ist. In Catherine Chalmers aus Insektenperspektive gefilmtem Video „Safari“, vergleichbar surreal, kämpft so eine riesige Kakerlake in einem Dschungel aus Zimmerpflanzen mit knallbunten Fröschen, exotischen Spinnen, fleischfressenden Pflanzen und seltenen Raupen mit orange fluoreszierenden Auswüchsen. Das Ganze sieht aus wie ein farbrestaurierter Science-Fiction-Film aus den Fünfzigern.
Zum anderen aber ist ihnen der Versuch anzumerken, neue Blickweisen auf Landschaft und Umwelt zu definieren, die vielleicht nicht so zwangsläufig zur Zerstörung führen wie unser heutiges, prototypisch amerikanisches Verständnis von Natur als nichtendender Ressource. So räumt der legendäre Robert Adams mit dem naturromantischen Klischee des weiten, wilden Westens auf und entdeckt in einem Bilderzyklus über die massenhafte Waldabholzung, die dort stattfindet, die selbstvergessene, halsabschnürende Poesie der Totalzerstörung. Harri Kallio legt mit lebensgroßen, minutiös rekonstruierten Modellen des mauretanischen Dodo, dem Symbolvogel für die Tierartenausrottung schlechthin, wenig konventionelle Betroffenheit an den Tag. Wenn er seine grimmigen Rekonstruktionen, digital aufgearbeitet, in ihrem ehemals natürlichen Habitat fotografiert, möchte man meinen, die großen, hässlichen Vögel planten Rache.
Die meisten Arbeiten der Ausstellung wären ohne den Siegeszug des Digitalen in der zeitgenössischen Kunstfotografie kaum denkbar. Der solide Deutsche Thomas Ruff beispielsweise schafft mit Computerhilfe das Kunststück, industrielles Brachland auf den ersten Blick wie eine verregnete Landschaft von Cezanne oder Turner wirken zu lassen.
Eine unsagbar melancholische Sogwirkung üben auch die Digitalarbeiten von der Fotografin und Internetkünstlerin Mary Mattingly aus. Sie veranschaulichen das Ausstellungskalkül der Evokation eines schönen, postdesaströsen Angstgefühls am prägnantesten. Menschen geistern hier als einzelgängerische Nomaden durch eine künstliche Landschaft in luminiszenten Farben, nur mithilfe aufsehenerregend filigraner Maschinen und den ganzen Körper bedeckender Spezialkleidung überlebend. Mattingly hat sich auf ihrer Website (www.marymattingly.com) eine ganze postapokalyptische Zukunftsgesellschaft ausgedacht, komplett mit neuer Zeitmessung, Weltordnung und Religion.
Kunstwelt-Darling Mark Dion merkt in einem Interview im Ausstellungskatalog wohlweislich an, dass die Kunstwelt eine denkbar frustrierende Arena ist, um die ökologische Revolution in Amerika zu starten. Doch „ecotopia“ gibt selbst den vermeintlichen Umweltgurus Gore und Schwarzenegger Hausaufgaben auf. Denn so schön die Angst auch ist, die diese Bilder so eindringlich evozieren, sie lassen keinen Zweifel daran, dass es alles andere als schön sein wird, wenn diese Ängste Realität werden.
Bis 7. 1. 2007, International Centerof Photography New York. Der Katalog kostet 35 Dollar.