kabinenpredigt : Auf ein Wort
Zum Wort des Jahres gewählt zu werden, ist alles andere als einfach. Schließlich muss der entsprechende Begriff die öffentliche Diskussion des Jahres bestimmt haben oder „sonst als charakteristisch“ für den Zeitabschnitt erscheinen. So will es jedenfalls die Gesellschaft für deutsche Sprache, die darüber zu befinden hat.
Diese Vorgaben können natürlich nur erfüllt werden, wenn wirklich alles zusammenpasst. Das Wort „Fanmeile“ wäre 2006 wohl kaum auf den ersten Platz gelangt, hätte die deutsche Nationalmannschaft schon in der Vorrunde die Segel streichen müssen. Und ohne die Berliner Unterstützung wäre die Fanmeile nie zu einem solch tragfähigen Begriff geworden.
Denn in der Hauptstadt kulminierte die Begeisterung. Bis zu einer Million Menschen versammelten sich hier vor den zahlreichen Videowänden. Und an keinem anderen Ort wurden so viele ausländische Besucher vor Kameras gebeten, um den Fernsehzuschauern in Deutschland immer wieder aufs Neue zu bestätigen, wie weltoffen und gastfreundlich die Deutschen sind. Die Berliner Fanmeile war der Brennpunkt der narzisstischen Selbstbespiegelung. Mitunter hatte man das Gefühl, die Deutschen freuen sich hier vor allem über die Tatsache, dass sie sich so unbefangen freuen können. So war es nur folgerichtig, dass das deutsche Fußball-Nationalteam an diesem Ort seinen Abschied vom Turnier feierte.
Münchner, Hamburger und andere Großstädter mögen sich jetzt mit dieser Fokussierung auf Berlin übergangen fühlen. Sie werden diese Überlegungen als hochnäsig abtun, sorgte doch auch die Begeisterung auf anderen Fanmeilen für dieses tolle kollektive Wir-Gefühl – und verhalf dem Wort „Fanmeile“ somit zu seiner Bedeutung. Aber was sollen da erst die Italiener, die Weltmeister, sagen, die ebenfalls völlig von der Hauptstadt ignoriert wurden. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister Berlins, verkündete nämlich nach dem Turnier: „Berlin ist der Gewinner dieser Fußball-Weltmeisterschaft.“
Johannes Kopp