: Die Fragen sind egal
Fritz Pleitgen moderierte zum letzten Mal den ARD-„Presseclub“. Dann wird eine Frau Gastgeberin der Sendung, in der Frauen eine Minderheit bilden
von ULRIKE HERRMANN
Es war ein demonstrativer Abschied, gerade weil auf jeden Abschied verzichtet wurde. Gestern moderierte Fritz Pleitgen zum letzten Mal den „Presseclub“ – und er moderierte wie immer. Mit sonoren Kettensätzen und mit ernstem blauem Blick. Auch das Thema war nicht festlich: „Ende der Schonzeit – Deutschland vor harten Entscheidungen“. Das ist keine Sendung, die man in der besinnlichen Adventszeit und mitten in einer Hochkonjunktur erwartet hätte.
Auch den Gästen fiel es offenbar schwer, sich in das Thema einzufinden. Sie brauchten nur ganze acht Minuten, um das Konzept der Sendung zu zerstören: Es seien gar keine harten Entscheidungen zu erwarten. „2007 wird innenpolitisch eher ruhig“, konstatierte Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung). Und außenpolitisch habe Deutschland sowieso „keine Handlungsfähigkeit“, stellte Thomas Schmid (Welt) fest. Helmut Markwort (Focus) erwartete daher vor allem ein „Jahr der Festivitäten“, in der sich Kanzlerin Merkel als EU-Präsidentin inszeniert. Auch den beiden weiteren Gästen Gabor Steingart (Spiegel) und Tina Hildebrandt (Zeit) gelang es nicht, eine Debatte anzuzetteln.
Ein weiblicher Gast muss inzwischen sein beim Presseclub. Unter Journalistinnen kursieren Ratschläge, wie man als Minderheit unter den männlichen Meinungsführern nicht stört. „Du musst lächeln, wenn du etwas sagst“, wird jedem weiblichen Neuling geraten. „Und etwas Freundliches anziehen – am besten ein weißes T-Shirt.“
Immerhin müssen die Frauen nicht ums Wort kämpfen. Pleitgen ist ein fairer Moderator, der reihum das Wort erteilt. Er schätzt geordnete Ruhe; Streit ist nicht erwünscht. Es gehört daher zum guten Ton, dass die Gäste möglichst oft mit einer zustimmenden Floskel beginnen: „Sie haben es ja schon angedeutet …“
Offenbar fürchtet der 68-jährige Pleitgen, echte Debatten könnten seine im Schnitt 67 Jahre alten Zuschauer überfordern. Jedenfalls wird das Publikum nicht mit überraschenden Ansichten konfrontiert. EU? „Sie muss in einem Verfassungsprozess von unten aufgebaut werden“ (Prantl). Gesundheitsreform? „Keine Jahrhundertreform“ (alle). Rente mit 67? „Auch kein großer Wurf“ (alle).
Nun ist die Runde mit fünf Gästen für knapp 45 Minuten sowieso zu groß, um ernsthaft zu diskutieren. Daher raten erfahrene Teilnehmer den Neulingen, sie sollten sich vorher drei knappe Thesen überlegen. „Und die trägst du dann vor – egal, wie die Frage lautet.“
Nach der Sendung wird es gemütlich. Bei Schrippen mit Wurst und Käse erzählt Fritz Pleitgen von seiner eigentlichen Leidenschaft, den Reisereportagen. Immer wieder kehrt er in die Regionen zurück, in denen er fast 20 Jahre als ARD-Korrespondent stationiert war: Russland, die USA, die Ex-DDR. Gerade hat er einen Film über das Erzgebirge abgeliefert, „Wiedersehen mit dem Weihnachtsland“.
Pleitgen hat sich immer als Journalist verstanden, und es gehörte zu seiner Selbstinszenierung, dass er nur wie nebenher als WDR-Intendant amtierte. Doch weiß er bestens, wie Macht funktioniert. Im Gestrüpp der ARD-Gremien und der parteipolitischen Interessen hat er es letztlich erreicht, dass die WDR-Hörfunkchefin Monika Piel im Juli seinen Intendantenposten übernimmt. Sie wird ab Januar auch den Presseclub moderieren.