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Archiv-Artikel

Florida legt Giftspritze zur Seite

Augenzeugen berichten von entsetzlichen Qualen eines 55-Jährigen, der am vergangenen Mittwoch mit einer Giftinjektion hingerichtet wurde. Gouverneur setzt daraufhin die Todesstrafe aus. Kommission soll Exekutionspraxis nun überprüfen

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Seit Jahren haben Gegner der Todesstrafe in den USA vor entsetzlichen Fehlern bei Hinrichtungen mit der Giftspritze gewarnt. Nun zeigte der zweite Fall in diesem Jahr, wie begründet ihre Warnungen sind. Der 55-jährige Angel Nieves Diaz war am vergangenen Mittwoch in Florida mit einer Giftspritze hingerichtet worden und erst nach einem 34 Minuten währenden Todeskampf und einer zweiten Dosis des Chemiecocktails gestorben.

Augenzeugen berichteten von offensichtlichen Qualen, die der wegen eines Mordes vor 27 Jahren an der Managerin einer Topless-Bar verurteilte Diaz zu erleiden hatte. Die Injektionsnadeln hatten seine Venen durchstochen. So sickerte das Gift in das umliegende Gewebe, statt ins Gehirn zu gelangen, wo es für Schmerzlosigkeit gesorgt hätte. Ein Arzt stelle bei Diaz anschließend chemische Verbrennungen an beiden Armen fest.

Die Panne veranlasste den Gouverneur von Florida, Jeb Bush, am Freitag, alle Hinrichtungen in seinem Staat vorerst auszusetzen. Unabhängig davon hob auch in Kalifornien ein Bundesrichter den Vollzug der Todesstrafe vorübergehend auf, weil Todesspritzen möglicherweise verfassungswidrig seien. Die US-Verfassung verbiete grausame und außergewöhnliche Bestrafungen, begründete Richter Jeremy Fogel am Freitag seine Entscheidung. Im US-Bundesstaat Missouri war schon im November die Todesstrafe wegen der fragwürdigen Methode mit der Giftspritze ausgesetzt worden. Dort hatte vor einigen Monaten eine Hinrichtung 90 Minuten gedauert, weil der Verurteilte jahrelang Drogen konsumiert hatte und seine Venen keine geeignete Injektionsstelle mehr boten.

Normalerweise dauere es höchstens ein paar Minuten, bis ein Verurteilter das Bewusstsein verliere, und höchstens eine Viertelstunde, bis die Todesspritze ihre volle Wirkung erziele, zitierte der Sender MSNBC den zuständigen Gefängnisarzt. Wenn das Gift nicht umgehend in die Blutbahn fließen könne, sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Mann zunächst bei Bewusstsein geblieben war, aber Aufgrund der einsetzenden Lähmung nicht mehr kommunizieren konnte.

Gouverneur Bush hatte am Freitag eine Kommission einberufen, die untersuchen soll, ob das Verfahren der Exekution verändert werden muss. Eine Menschenrechtsorganisation reichte zudem erneut eine Klage beim Obersten Gerichtshof Floridas ein. Zuvor hatte dieser es abgelehnt, den Strafvollzug für alle Todeskandidaten im Bundesstaat auszusetzen. In Floridas Gefängnissen warten 374 Menschen auf ihre Hinrichtung. Die Kommission soll ihren Bericht am 1. März 2007 vorlegen.

In den USA wächst die Skepsis an der Institution Todesstrafe, berichtet das „Todesstrafen-Informationszentrum“ in Washington in seinem Jahresbericht. Im Jahr 2006 seien nur 114 Menschen zum Tod verurteilt worden, weniger als jemals zuvor in den vergangenen 30 Jahren. 53 Menschen wurden hingerichtet, sieben weniger als 2005 und 45 weniger als im Jahr 1999.

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