: Spurensuche in Usbekistan
EU-Delegation untersucht die Niederschlagung des Aufstands von Andischan im Jahr 2005. Dokumente deuten auf Folter des Aufstandsanführers in Haft hin
BAKU taz ■ Dichter Nebel verzögerte am vergangenen Freitag die Abreise der EU-Experten vom Flughafen Taschkent. „Wir haben von den usbekischen Behörden ausführliche Informationen zu der offiziellen Sichtweise über Andischan erhalten“, sagte der finnische EU-Botschafter Pekka Oinonen am Freitagabend in Taschkent. Oinonen leitete die Delegation, an der auch deutsche Spezialisten teilnehmen, bei ihrer viertägigen Spurensuche zur brutalen Niederschlagung des Volksaufstands.
Am 13. Mai 2005 hatten usbekische Sicherheitskräfte in Andischan einen mehrtausendköpfigen Volksaufstand von Panzerwagen aus zusammengeschossen. Nach Augenzeugenberichten wurden dabei hunderte unbewaffnete Demonstranten erschossen. Usbekistan erhofft sich mit Hilfe des Expertentreffens und eines in Aussicht gestellten Menschenrechtsdialogs zu erreichen, dass die EU-Sanktionen gegen das Land im nächsten Jahr aufgehoben werden.
Die vor einem Jahr eher symbolisch verhängten Strafmaßnahmen wie Visabann und Waffenembargo wurden im November dieses Jahres verlängert, da sich der usbekische Präsident Islam Karimow bislang beharrlich weigert, eine internationale Untersuchung der Andischaner Ereignisse zuzulassen. „Wir haben jetzt ein klares Bild, was in Andischan genau passiert ist“, sagte Oinonen, in den nächsten Tagen werde man die Ergebnisse der EU-Kommission vorlegen. Oinonen wollte sich jedoch nicht dazu äußern, wie glaubwürdig die auf der Reise vorgelegten Dokumente und Augenzeugenberichte denn seien.
Mit welcher Art von Dokumenten die usbekischen Behörden arbeiten, zeigt ein als geheim eingestuftes Dokument, das der taz vorliegt und die Geständnisse Kabul Parpiews, eines der wichtigsten Führer des Andischaner Aufstands, zusammenfasst. Parpiew habe demnach in den usbekischen Verhörzellen gestanden, dass es sich in Andischan um eine Verschwörung einer islamistischen Terrorgruppierung gehandelt haben soll, die mit tatkräftiger Unterstützung des Diplomaten der US-Botschaft in Taschkent, Michael Goldmann, in Andischan einen Staatsstreich geplant hätte.
Die Anklage, mit Terroristen zu kooperieren und im Auftrag der USA zu arbeiten, gilt in Usbekistan als Standardanklage, um auch Menschenrechtler, Journalisten und Oppositionelle hinter Gitter zu bringen. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie etwa Human Rights Watch beklagen seit langem, dass in Usbekistan vor allem mit Hilfe von Folter Geständnisse erpresst werden.
Am 13. Dezember 2006 erklärte der UN-Berichterstatter Manfred Nowak, dass er über die Berichte zur Folter in Usbekistan sehr besorgt sei. Sein Vorgänger, Theo van Boven, hatte 2002 erklärt, dass die Folter „methodisch“ angewandt würde.
„Ich habe ihrem Angebot zugestimmt, ich hatte keine andere Wahl mehr, ich konnte nicht mehr leiden, ich wollte es nur noch zu Ende bringen“, heißt es in einem Brief eines anderen Häftlings, der aus einem usbekischen Gefängnis herausgeschmuggelt werden konnte und ebenfalls der taz vorliegt.
Parpiew konnte nach der Niederschlagung des Andischaner Aufstands in die kirgisischen Berge flüchten. Bis November 2005 meldete er sich immer wieder bei Journalisten, bis er plötzlich spurlos verschwand. In dem „geheimen Dokument“ findet sich nun die Bestätigung, dass Parpiew damals vom usbekischen Geheimdienst verhaftet und mehrfach verhört wurde. Bei den Verhören habe Parpiew auch gestanden, dass der amerikanische Diplomat die Unterstützung der westlichen Presse für den geplanten Staatsstreich in Andischan zugesagt habe.
MARCUS BENSMANN