: In Stuttgart Planung für Guantánamo
US-Armee berichtete bereits 2002 über den „Transfer“ von sechs Algeriern aus Bosnien nach Guantánanmo, der in Deutschland koordiniert wurde. Die Pressemitteilung steht heute noch auf der Homepage der Militärs. Die Staatsanwaltschaft ermittelt
AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH
Seit Wochen wird gemutmaßt, dass die US-Armee Entführungen nach Guantánamo von Deutschland aus koordiniert hat. Dabei steht der Beweis seit Jahren auf der Homepage des European Command (Eucom) der US-Armee. Am 18. Januar 2002 erklärten die Militärs per Pressemitteilung, dass sie sechs Algerier aus Bosnien in US-Gewahrsam verbracht hätten.
Unter der Ortsangabe „Patch Barracks – Stuttgart Germany“ teilt Eucom unter anderem mit: „Sechs Algerier, die des Terrorismus verdächtigt werden und von der Regierung von Bosnien-Herzegowina festgenommen wurden, sind heute US-Behörden übergeben und an einen sicheren Ort gebracht worden.“
Die sechs Männer werden international als „Algerian Six“ bezeichnet. Sie kamen während des Bürgerkriegs in das Land, um den bedrängten Muslimen im Kampf zu helfen, und arbeiteten später für Hilfsorganisationen in Bosnien. Fünf von ihnen haben auch die bosnische Staatsangehörigkeit. Sie waren Ende 2001 auf Druck der USA von der bosnischen Polizei festgenommen worden. Der US-Geheimdienst vermutete, die sechs hätten geplant, die US-Botschaft in Bosnien anzugreifen. Da es jedoch keinerlei handfesten Beweis für diese Vermutung gab, ordnete im Februar das Oberste Gericht Bosniens ihre Freilassung an.
Doch sie kamen nicht wirklich frei, sondern wurden US-Truppen übergeben, die sie in die bosnische Stadt Tuzla brachten. Dort holte sie ein US-Militärflugzeug ab, das im deutschen Ramstein gestartet war, und brachte sie nach einem Zwischenstopp im türkischen US-Stützpunkt Incirlik in das US-Lager für illegale Kämpfer in Guantánamo.
In Umrissen wird dieser Sachverhalt auch in der Pressemitteilung des Eucom geschildert, wobei Guantánamo nicht erwähnt wird, sondern nur von „US-Gewahrsam“ die Rede ist. Zur Begründung der Aktion heißt es: „Die Behörden von Bosnien-Herzegowina und die Regierung der USA glauben, dass die sechs inhaftierten algerischen Staatsbürger immer noch eine signifikante Gefahr darstellen.“ Die sechs bosnischen Algerier sitzen bis heute in Guantánamo fest, obwohl laut Washington Post inzwischen selbst die USA den Vorwurf des angeblich geplanten Botschaftsattentats haben fallenlassen.
In Deutschland wurde der Fall der Algerian Six Ende 2005 zunächst in einem anderen Kontext bekannt. Damals berichteten Medien, der deutsche Militärische Abschirmdienst (MAD) habe 2003 in Bosnien die Angehörige eines der Männer ausfragt – wobei sich die Soldaten unzulässigerweise als Journalisten ausgaben. In ihrem Bericht hieß es, es gebe Hinweise auf eine „höchst zweifelhafte Deportation“ der Männer.
Ende November 2006 griff Report Mainz den Fall auf. Unter Berufung auf einen geheimen Lagebericht der US-Armee stellte das Magazin die These auf, dass die Entführungen bei Eucom in Stuttgart-Vaihingen koordiniert wurden. Anfang Oktober erhob der UN-Sonderermittler für Folter, der österreichische Jurist Manfred Nowak, den gleichen Vorwurf. Inzwischen nahm die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen auf und bat die Bundesanwaltschaft um Prüfung. Diese will noch dieses Jahr entscheiden, ob sie selbst ermittelt, weil es sich um eine politisch motivierte „Verschleppung“ handelt, oder die Stuttgarter Ankläger zuständig sind, weil es nur um „Freiheitsberaubung“ geht.
Stets stand dabei auch die Frage im Raum: Was wusste die Bundeswehr, die mit zwei Verbindungsoffizieren seit 2000 im Eucom vertreten ist? Die Frage ist müßig, seit die Eucom-Pressemitteilung vom Januar 2002 bekannt ist. Jeder, der es wissen wollte, konnte es damals erfahren, auch die Bundeswehr und die Bundesregierung.
Die USA scheinen nach wie vor ein reines Gewissen zu haben. Erst vorige Woche bestätigte Eucom-Sprecher John Tomassi der Stuttgarter Zeitung: „Wir haben Gefangene transportiert“, und verwies auf die Pressemitteilung von 2002. Möglicherweise haben die US-Soldaten von der deutschen Justiz nichts zu befürchten, weil nach dem Nato-Truppenstatut für die Beurteilung von Armeetätigkeiten die US-Justiz zuständig ist.