: Israels Feinde verschwunden
ANTISEMITISMUS Psychotherapeutin beschreibt Israel als psychisch kranke Gesellschaft und Antisemitismus als Wahnvorstellung von Zionisten. Über tatsächliche Gewalt gegen Juden spricht sie nicht
„Ignoriert Antisemitismusvorwürfe und vergesst den Holocaust“, sagte die Politaktivistin und Psychotherapeutin Avigail Abarbanel. „Der Nahostkonflikt ist eine Frage der Menschenrechte der Palästinenser.“
So endete ihr zweistündiger Vortrag „Die Psychologie des israelischen Siedler-Kolonialismus“ mit der These, dass Zionisten jegliche Israelkritik als antisemitisch diffamierten. Rund 50 BesucherInnen waren der Einladung des Nahost Forums und des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörung ins Kulturzentrum Villa Ichon gefolgt; Vorwürfe oder Kritik äußerte hier niemand. Ein Jahr zuvor sah das am selben Ort anders aus: Als die Hamburger Publizistin Susann Witt-Stahl über den Antisemitismusvorwurf als ideologische Waffen referierte, wurde das von einer Mahnwache begleitet. Aufmerksamkeit erregte jene Veranstaltung auch, weil ein jüdischer Student und seine Begleiterin nicht in den Saal gelassen wurden. Im Unterschied zu Witt-Stahl hält Abarbanel die Antisemitismus-Angst von Israelis und deren UnterstützerInnen nicht für vorgeschoben. „Die glauben das wirklich“, sagte sie und wertete dies als „paranoide Wahnvorstellung“ – eine Geisteskrankheit, die im Gründungsmythos des jüdische Staates verankert sei. In einer als feindlich begriffenen Umwelt, erklärt Abarbanel den Zionismus, sei Israel als Schutzort lebensnotwendig.
Indem Abarbanel Erkenntnisse individueller Traumaforschung auf die Israelis als Gruppen überträgt, zeichnet sie das düstere Bild einer narzisstischen und paranoiden Gesellschaft, in der Opfer zu Tätern werden. Das klingt auch deshalb so eindringlich, weil Antisemitismus in diesem Modell ausschließlich als Wahnvorstellung vorkommt. Die palästinensischen Araber waren in Abarbanels Darstellung „einfach nur da“ als die Vorfahren heutiger Israelis das Land „kolonialisiert“ hätten. Kein Wort etwa darüber, dass palästinensische Muslims bereits in den 1920er-Jahren Massaker an Juden verübten und Palästinenserführer Mohammed Amin al-Husseini eng mit deutschen Nazis zusammenarbeitete. Auch fehlte jeder Hinweis auf heutige Gewalttaten: Selbstmordanschläge oder Raketen, die aus Gaza nach Israel abgefeuert werden. Dass JüdInnen in Europa nicht sicher seien, ist für Abarbanel „zionistische Propaganda“.
Einseitig sei diese Sicht auf den Konflikt, sagt sie selbst ausdrücklich. Es sei verantwortungslos, sich um die Probleme des Aggressors zu kümmern, solange die Opfer Hilfe benötigten. Abarbanel stammt aus Israel, hat ihre Staatsbürgerschaft aber aus Protest aufgegeben. Man werfe ihr oft vor, sagte sie, Antisemiten argumentative Munition zu liefern – gerade als Jüdin. Inhaltlich widersprach sie dem nicht. JAN-PAUL KOOPMANN