: Was Islamisten umtreibt
AFGHANISTAN-EINSATZ Wer den Medien nicht traut, kann ins Theater gehen: der Doku-Abend „Kundus–Potsdam“ im Hans Otto Theater
VON ESTHER SLEVOGT
Die Bühne ist eine Art bespielbares Großraumbüro. Aktenkarussells stehen herum, Sitzecken, Stehpulte, Mikrofone. Die Wände ringsherum sind mit beschrieben A4-Blättern gepflastert, die für das Material zu stehen scheinen, das Clemens Bechtel für seinen dokumentarischen Theaterabend über den Konflikt in Afghanistan nun am Potsdamer Hans Otto Theater zusammengetragen hat. Bechtel, der zuerst in Potsdam 2008 mit einem dokumentarischen Theaterabend über Stasi-Opfer Furore machte („Staats-Sicherheiten“), in dem Betroffene ihre Haftgeschichten auf der Bühne thematisierten.
Auch in „Potsdam–Kundus“ kommen nun Betroffene zu Wort: Spezialisten aus Politik, Militär und NGOs. Hauptsächlich jedoch als Filmeinspielung auf einer Leinwand im Bühnenhintergrung, wo sie in Interviewausschnitten diesen mehr als drei Jahrzehnte andauernden Konflikt beleuchten. Unter den Interviewten ist ein Kommandeur der Bundeswehr-Einsatzzentrale im benachbarten Geltow, sind die militärpolitischen Sprecher von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Auch ein Vertreter von Ärzte ohne Grenzen ist dabei. Und Thomas Ruttig, der 2002 zu einem Team der Vereinten Nationen gehörte, das den vom Fundamentalismus der Taliban terrorisierten Afghanen helfen sollte, in ihrem Land eine Demokratie zu errichten.
Man versuchte damals, alle Konfliktparteien an einer Art runden Tisch (Loja Dschirga) zu versammeln. Auch jene kriminellen Warlords, die rücksichtslos Zivilisten ermordet hatten. Doch musste, so erzählt es Ruttig nun im Filminterview, das UN-Team bald feststellen, dass die Macht längst im Interesse der Amerikaner unter den Warlords verteilt, das Demokratisierungsprojekt also zum Scheitern verurteilt war.
Nur eine Betroffene tritt in Potsdam live in Erscheinung. Es ist Terishkova Obaid, die Ende der Achtziger als Kind aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Land nach Deutschland kam, und der an diesem Abend die Stimme der Afghanen zugedacht ist.
Es ist ein Abend, der widersprüchliches Material zu einem Katastrophenkaleidoskop aneinander reiht. Man erfährt in Handlungssplittern, was einen konvertierten Islamisten aus Deutschland umtreibt oder zynisch gewordene Entwicklungshelfer. Man spürt das Hadern hilfloser Diplomaten mit den korrumpierenden Bedingungen ihrer Mission, die Ohnmacht einer Bundeswehrärztin oder die abgestumpfte Verzweiflung eines traumatisierten Überlebenden eines Selbstmordanschlags.
Komplexe Doku-Formate
Diese Splitter werden in Spielszenen zwischen den Filmausschnitten von sechs Schauspielern szenisch nachvollziehbar gemacht. Am Ende entsteht ein ebenso bestürzend heilloses Bild von der Lage im Land, von der Aussichtslosigkeit internationaler Intervention und ihrer Notwenigkeit gleichermaßen.
Das Dokumentartheater, wie es in den vergangenen 10, 15 Jahren entstanden ist, reagiert verstärkt auf einen Informationsoverkill in den Medien, der nur noch wenig zur Information über die unübersichtlichen Krisen vom Balkan über Nah- und Fernost bis Afrika beiträgt. Hochkomplexe theatralische Doku-Formate verbinden dagegen penible Recherche mit suggestiver Aufarbeitung und leisten auf diese Weise das, was Medien nicht mehr gewährleisten: nämlich Faktenauswahl, Hintergrundinformation, Verdichtung und Hilfe bei der Meinungsbildung.
Der virtuoseste unter den Theaterdokumentaristen ist Hans-Werner Kroesinger, dessen hoch verdichtete, minutiös komponierten Theaterabende zu internationalen Krisen und Konflikten oft schon musikalischen Oratoriumscharakter besitzen: „Blackwater“, „Ruanda Revisited“ beispielsweise.
Schon allein des Titels wegen drängt sich ein Vergleich des Potsdamer Abends mit Kroesingers dokumentarischen Arbeiten auf. Allerdings verfügen Bechtel und sein Team bei weitem nicht über die formale Virtuosität, mit der Kroesinger seinen Stoff aufbereitet und in Szene setzt. Das beginnt bereits mit der diffusen Vermischung der Formate – von reportagehaften Interviewszenen auf Leinwand, der verwischten formalen Grenze zwischen Spielszenen und Betroffenen-Berichten. Auch entwickelt der Abend an keiner Stelle so etwas wie einen Sound oder suggestiven Sog.
Man stolpert über holprig gespielte Szenen, ist manchmal genervt vom glutäugigen Pathos, mit dem deutsche Stadttheaterschauspieler Posen islamistischer Fanatiker mimen, oder der Treuherzigkeit, mit der die hohlen Phrasen von Politikern an den Särgen gefallener Bundeswehrsoldaten als hohle Phrasen gezeigt (und damit Eulen nach Athen getragen) werden. Auch will der Abend, der mit den Anschlägen vom 11. September einsetzt, verdammt viel und überhebt sich gelegentlich daran.
Und doch ist das Ungeschliffene, immer wieder auch inhaltliche Abstürzen eine Qualität des Abends. Denn hier wird kein Durchblick behauptet, keine kunstvolle Oberfläche hergestellt, der auch der Vorwurf gemacht werden könnte, theatralisches Infotainment auf ästhetisch komplexem Niveau zu sein. Denn Clemens Bechtel und sein Team machen keine Kunst, sondern demonstrieren die Kapitulation der Kunst vor der Wirklichkeit. Diesen Mut muss man auch erst mal haben.
■ Nächste Vorstellungen: 27. und 29. Januar, jeweils 19.30 Uhr