: Die Schere im Kopf kehrt zurück
UNGARN Schon immer haben Regierungen und Parteien versucht, ihren Einfluss durchzusetzen. Doch das neue Mediengesetz verstärkt nun auch noch den unheilvollen Hang vieler Journalisten zur Selbstzensur
■ 37, studierte in Budapest und Heidelberg. Er fing 2009 bei dem öffentlich-rechtlichen MR1-Kossuth Rádió als Redakteur der Morgensendung „180 Minuten“ an. Am 21. Dezember 2010 bauten er und sein Kollege Attila Mong aus Protest gegen das Mediengesetz eine Schweigeminute ins Programm ein. Bogár ist seitdem suspendiert. Foto: privat
VON ZSOLT BOGÁR
Wir haben für einen Moment die Zeit angehalten – Attila Mong und ich – an diesem 21. Dezember 2010 um 6.16 Uhr im Studio 31 des MR1-Kossuth Rádió in Budapest. Diese Schweigeminute war ein Versuch zweier Journalisten, ihr gutes Gewissen zu bewahren. Damit ihnen nicht übel wird, wenn sie in fünf Jahren an die Zeit zurückdenken, als das Mediengesetz der Regierung Viktor Orbán verabschiedet wurde. Wir wollen uns nicht vorwerfen müssen, wir hätten nichts getan.
Ausländische Kollegen fragen mich seither oft, ob ein ungarischer Journalist wegen des Mediengesetzes mehr Angst haben muss als früher. Und ich sage: Ich bin mir nicht sicher. In den Redaktionen beruhigen die Ressortleiter in diesen Tagen ihre Mitarbeiter: Sie sollten so weitermachen wie bisher. Auch die Vorsitzende der Medienbehörde ermunterte die Journalisten dazu, sich nicht beeinflussen zu lassen: Das Gesetz richte sich ja gar nicht gegen sie.
Rein formal hat sie recht: Es bezieht sich auf Medienunternehmer. Aber wenn denen schwere Strafe drohen, trifft das natürlich auch die Journalisten. Viele könnten deshalb vorsichtiger werden.
Die Frage ist nur, wie sie das tun sollen. Welches Verhalten verletzt denn, wie es im Gesetz heißt, die „menschliche Würde einer Minderheit“ (oder übrigens auch einer Mehrheit)? Welcher Journalismus gefährdet die „allgemeine Moral“? Nach dem Lesen des Gesetzes sind wir nicht klüger. Es ist nicht klar, was gemeint ist. Nur eins ist sicher: Die Behörde wird unser Verhalten, unsere Arbeit nachträglich bewerten. Es kann sein, dass die laut Gesetz möglichen hohen Bußgelder nie verhängt werden. Das Risiko ist trotzdem da. Gefährdet das Gesetz also indirekt die Arbeitsplätze von Journalisten? – Ein klares Ja.
Doch wirklich neu ist die Situation nicht: Der neue Premier Orbán ist nicht der Erste, der ein solch restriktives Gesetz will. Auch die sozialdemokratisch-linksliberale Koalition unter Ferenc Gyurcsány hatte vor zwei Jahren etwas Ähnliches versucht.
Die Situation war nicht viel anders als heute. Auf einmal tauchte ein Gesetzentwurf auf, der nach 5-Parteien-Gesprächen in dunklen Hinterzimmern im Ministerpräsidentenamt geschrieben wurde, ohne dass jemals öffentlich darüber diskutiert worden wäre.
Damals hieß es, geredet werden solle eben erst über das fertige Paket. Nach einer heißen Debatte leugneten dann die beteiligten Parteien, sich je auf das Konzept geeinigt zu haben – aus gutem Grund. Zwar stand darin, anders als heute, nicht, dass die Medienbehörde auch Printmedien und deren Onlineableger kontrollieren darf. Aber die Kontrolle von Radio und Fernsehen sowie deren Internetangeboten war schon dort vorgesehen.
Geplant war auch eine Art Fahndungsrecht für die Medienbehörde. Sie sollte die Eigentümerstrukturen von Medienunternehmen mit polizeiähnlichen Mitteln prüfen dürfen – aber nur vordergründig ging es dabei um Wettbewerbsrecht. De facto hätte die Behörde nämlich auch Einblick in redaktionelle Daten nehmen und die Quellen von Journalisten ermitteln können. Der damalige Entwurf räumte der Medienbehörde zwar nicht die heute vorgesehene nachträgliche Kontrolle über Inhalte ein. Sie sollte auch keine Bußgelder von umgerechnet bis zu einer Million Dollar verhängen dürfen. Aber eine Vorzensur wäre bereits möglich gewesen: Zum Beispiel dann, wenn die Behörde bei einer TV-Serie Verstöße gegen den Jugendschutz gesehen hätte.
In Westeuropa schränken Staaten die absolute Medienfreiheit meist nur in besonderen Fällen ein. Doch das verstehen die ungarischen Parteien nicht. Sie wollen mehr Einfluss auf die Medien und finden dafür immer wieder irgendeine Begründung.
Die Orbán-Regierung prescht nun noch weiter vor und beruft sich auf eine „Kultur des Respekts“. Der hemmungslose Regulierungswahn des Gesetzes, das das gesamte Mediensystem ins Visier nimmt, wurde dabei kaum hinterfragt. Schließlich hat die Regierung im Parlament eine Zweidrittelmehrheit.
Dabei geht es nicht allein um vergrößerte Macht der Medienbehörde. Das Gesetzt erlaubt nun auch, dass Presseverlage TV-Sender besitzen dürfen und sich Rundfunkunternehmen umgekehrt auch Zeitungen zulegen können – was bislang nicht möglich war. In Ungarn stehen momentan wichtige Pressetitel zum Verkauf: Auf sinkende Auflagen und einbrechende Werbeeinnahmen antworten viele bisherige Eigentümer – oft Medienunternehmen aus dem Westen – mit Rationalisierung, Zusammenlegung von Titeln – oder gleich mit dem Verkauf. An die Stelle der ausländischer Eigentümer treten dann meist ungarische Verlage, die meist eine klare ideologische Ausrichtung haben und einer Partei nahestehen.
Komplette Redaktionen könnten dann nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen dichtgemacht oder ausgewechselt werden, sondern auch deshalb, weil dem neuen Eigentümer die politische Ausrichtung nicht gefällt. In einem Land, wo die Arbeitslosigkeit unter Journalisten bei über 30 Prozent liegt und praktisch keine neue Stellen ausgeschrieben werden, bereitet uns Journalisten das einige Kopfschmerzen.
Besonders betroffen sind die öffentlich-rechtlichen Medien. Die nationalen Rundfunksender und die staatliche Presseagentur MTI wurden unternehmerisch zusammengelegt, Stellen werden massenhaft gekürzt.
Als neuer Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Radio MR1-Kossuth erlebe ich das hautnah mit. Erfahrene Redakteure, die schon mehrere Führungswechsel an der Staatsspitze und beim Radio gesehen haben, waren geschockt, dass nun mit der alten Regierung auch gleich der Chef des Senders gehen musste. Und das, obwohl gerade der das Programm erneuert und auch Jüngeren nähergebracht hat.
Doch ein mindestens ebenso großes Problem wie das neue Gesetz ist der Hang ungarischer Medien zur Selbstzensur. Bei MR1-Kossuth habe ich zum ersten Mal hautnah erfahren, was das in einem Wahljahr bedeutet: Obwohl auf die redaktionelle Arbeit bis zur letzten Minute kein Druck von außen ausgeübt wurde, war ein gewisser vorauseilender Gehorsam nicht zu übersehen. Redakteure drückten sich vor bestimmten politischen Themen. Lange Sendestrecken wurden ganz von Politik befreit, das Programm wirkte plötzlich seltsam entpolitisiert. Und zwar nicht wegen irgendeines Mediengesetzes – nein, das passiert öfter, wenn in Ungarn gewählt wird. Weil die Journalisten Angst haben, sie könnten jemandem auf die Füße treten, der bald an die Macht kommt. Und ihnen vorwirft, sie hätten „nicht ausgewogen“ berichtet.
Erbe der Diktatur
Das verschärfte Gesetz passt aber gut in diesen Kontext. Denn es verstärkt nun diese Reflexe, die es vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis heute gibt. Hier hat die Selbstzensur eine starke Tradition, die noch in die kommunistische Ära zurückgeht. Dort gab es ganz offiziell den Zensor. Aber jeder wusste auch ohne ihn, was er schreiben oder senden durfte – und wann es besser war, zu schweigen. Was man so in den Jahren der Diktatur erlernt hat, ist teilweise bis heute innerlich verankert.
Vor ein paar Wochen interviewte eine Radiokollegin einen Menschenrechtler zu Verstößen gegen die Grundrechte in Ungarn. Der Mann zählte dabei auch das neue Mediengesetz auf und wurde von der Reporterin gestoppt: Ihr war das Risiko zu hoch. Der Fall kam zwar noch am selben Tag bei einer Redaktionskonferenz zur Sprache. Doch die Stellungnahme der Senderleitung steht bis heute aus.
Dass dieser Hang zur Selbstzensur durch das Gesetz verstärkt wird, droht vieles zu beschädigen, was Journalisten an Selbstbewusstsein und Glaubwürdigkeit seit dem Ende des Sozialismus aufgebaut haben. Davor haben wir Angst. Aber die Regierung sollte bedenken: Die letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, dass alle Regierungen, die versuchten, die Medien zu kontrollieren, am Ende die Gunst der Wähler wieder verloren haben. Davor sollten sie Angst haben.