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Archiv-Artikel

V-Männer sorgen für Zwietracht

Mindestens vier Spitzel des Verfassungsschutzes hat das Berliner Sozialforum in seinem Umfeld entdeckt – nicht alle wurden enttarnt. Über den Umgang mit ihnen streitet die Gruppe nun heftig

Die Gruppe entschied, die Namen der Verdächtigen nicht zu veröffentlichen

Von Peter Nowak

Auch über sechs Monate nach der Spitzelaffäre um das Berliner Sozialforum hadert die Gruppe mit dessen Folgen. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit den vom Verfassungsschutz eingeschleusten – und bisher nur teilweise enttarnten – V-Leuten. Einige Mitglieder fordern einen offensiveren Umgang mit der Problematik; dies wird von anderen abgelehnt. Die Gruppe versucht jedoch, diesen Streit nicht in die Öffentlichkeit zu tragen.

Anfang Juni hatte der Spiegel enthüllt, dass Treffen des Berliner Sozialforums sowohl vom Berliner Landes- als auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht worden seien. Auch Peter Grottian, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität, war von der Bespitzelung betroffen. Im Sozialforum sind rund 30 VertreterInnen sozialer Bewegungen und Einzelpersonen vertreten.

Der Streit über den Umgang mit den Spitzeln entbrannte aufs Neue, als vor wenigen Wochen eine interne Untersuchungsgruppe des Sozialforums die Ergebnisse ihrer Recherchen veröffentlichte. Danach waren mindestens vier V-Leute des Verfassungsschutzes im Umfeld der Gruppe aktiv. Beobachtet wurde offenbar alles, was die Behörden der linksradikalen und autonomen Szene zurechneten.

Auch mit den mutmaßlichen Spitzeln setzte sich das Ermittlungsteam auseinander. Mit den Vorwürfen konfrontiert, gestand eine Person die Tätigkeit für den Verfassungsschutz ein. Eine zweite „legte so etwas wie ein Teilgeständnis“ ab, sagte Grottian der taz. Die zwei Übrigen bestreiten die Vorhaltungen vehement, obwohl die Untersuchungsgruppe von einer erdrückenden Beweislast spricht. „Wir sind uns aufgrund der Gesamtsituation, ihres Verhaltens und der teils aus Akteneinsicht bekannten Details so sicher, die Richtigen erwischt zu haben, dass wir bis an die Grenze des Outings gehen“, heißt es in einer Erklärung.

Diese Grenze wird aber nicht überschritten. Die Untersuchungsgruppe hat sich entschieden, die Namen der Verdächtigen nicht zu veröffentlichen. „Es gibt einen Unterschied zwischen Wissen und Beweisenkönnen“, sagt Sozialforumsmitglied Tomas Lecorte. „Manche waren für eine Veröffentlichung der Namen, anderen ist schon die jetzige Erklärung zu viel der Brandmarkung.“ Aktivistin Corinna Genschel begründet die Nichtveröffentlichung historisch: „Es gibt in der Linken eine lange Geschichte von falschen Verdächtigungen. Wir wollten kein weiteres Kapitel hinzufügen, sondern einen anderen Weg finden, der moralisch und politisch integer ist.“

Diese Strategie stößt innerhalb des Sozialforums auf Kritik. „Ein Spitzel, der intern rausgeworfen, aber nicht enttarnt wurde, wird zu einer Art Schläfer“, befürchtet ein Mitglied, das ungenannt bleiben möchte. Es bestehe die Gefahr, dass die Spitzel später wieder in anderen Zusammenhängen eingesetzt und sogar erpresst werden könnten.

Das sehen auch einige linke Gruppen so, darunter die autonome Gruppe Autopool und die AutorInnen der Zeitschrift Interim. Sie haben das Sozialforum gebeten, die Entscheidung über die Nichtveröffentlichung der Namen zu überdenken.

Einig ist man sich hingegen in der Kritik an den PolitikerInnen und Behörden, die zur Aufklärung wenig beigetragen hätten. So habe bisher nur Peter Grottian seine Akten einsehen können. Anträge auf Akteneinsicht von anderen Aktivisten des Sozialforums seien dagegen bisher nicht bearbeitet worden. Einem im Sozialforum aktiven linken Gewerkschafter wurde gar mitgeteilt, dass er wegen seiner politischen Arbeit unter Beobachtung stehe und daher eine Akteneinsicht nicht möglich sei.

Das Sozialforum blickt bei der Aufarbeitung der Spitzelaffäre auch auf die jüngere deutsch-deutsche Geschichte zurück. Morgen wird sich der DDR-Oppositionelle Reinhard Schult bei einem Vortrag mit den Auswirkungen geheimdienstlicher Tätigkeiten auf die Arbeit oppositioneller Gruppen am Beispiel der DDR-Opposition befassen. Der Bezug zur aktuellen Spitzelaffäre ist dabei ausdrücklich gewollt.