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Archiv-Artikel

Thema der Woche:

Gesine Lötzsch und der Kommunismus

Das große C

betr.: „Ein Gespenst geht um in der Linkspartei“, taz v. 10. 1. 11

Wenn man den Begriff Kommunismus nicht benutzen darf, ohne der Opfer des Stalinismus, des real existierenden Sozialismus oder anderer Regime, die sich auf den Kommunismus beziehen oder bezogen haben, zu gedenken, dann darf man auch den Begriff des Christentums nicht verwenden, ohne der Toten und des Leids zu gedenken, die es im Namen des Christentums in den letzten 2.000 Jahren gegeben hat. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich aus der Kirche austrete, denn was Leute und Institutionen, die das C groß vor sich hertragen, von sich geben, ekelt mich an. HANNELORE LÜNSTROTH, Berlin

Das ist okay

betr.: „Ein Gespenst geht um in der Linkspartei“, taz v. 10. 1. 11

Bis zu meinem 25. Lebensjahr habe ich in der Diktatur DDR gelebt. 1989 für Freiheit gekämpft und sehnsüchtig die Demokratie Deutschland erwartet. Seit zehn Jahren kann ich die Freiheit genießen, in Schleswig-Holstein zu leben. Marktradikalität und Ellenbogengesellschaft sind an der Tagesordnung. So drückt mich der Kapitalismus langsam aus der Mittelschicht, die ich und meine Familie sich erarbeitet haben. Frau Lötzsch geht auf Stimmenfang, das ist auch okay. Und allemal besser als die Konservativen, die Sozialabbau betreiben und gleichzeitig am rechten Rand fischen.

SVEN BOHL, Niebüll

Die Freiheit, anders zu denken

betr.: „Empörung über Linke“, taz vom 6. 1. 11

Hier schreien Verfassungsfeinde nach Verfassungstreue der Linken. Gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen ist unantastbar, verstoßen die im Bundestag vertretenen Parteien täglich. Menschen in dieser Republik unter Hartz IV, Menschen in Ländern, in denen wir unserem Exportwahn frönen, Menschen aus den Ländern, wo wir unsere „saubilligen“ Produkte herbeziehen, sind millionenfach trauriges Zeugnis unserer Regierenden und damit des Kapitalismus. Menschen verdursten in Afrika, weil ihnen das Trinkwasser für die Berieselung von Blumen u. ä. unnützen Exporten, die wir „billig“ kaufen, abgegraben wird. Erwachsene und Kinder kommen beim Buddeln nach Mineralien für unsere Handys um oder werden krank. Die schönen Arbeitslosenzahlen der Schwarz-Gelben sagen nichts darüber aus, unter welch unterirdischen Bedingungen, z. B. Löhne und Arbeitszeiten, hier ein „Wunderaufschwung“ stattfindet. Vorhandene Arbeitsrechte werden zuhauf, nicht nur von den Billigheimern mit Füßen getreten. Ein weiterer von unendlich vielen Verstößen gegen das GG ist die Kriegsführung unserer Republik in Irak, Afghanistan und wo auch immer, aus kapitalistischen Gründen. Mit dem Begriff Verteidigungsfall, Artikel 115 a GG, bringen wir Not, Elend und Hass in die Welt. Lobbyisten gleich Kapitalisten haben auch diese meine Bundesrepublik Deutschland fest im Griff. Gesetze werden bekanntlich von diesen gemacht bzw. verhindert, und damit haben sie die Macht. Die Freiheit, anders zu denken als kapitalistisch, ist für Neoliberale Teufelszeug. Überwachen, wegsperren oder auf den Mond schießen ist ihre Form von Demokratie. Die meisten Medien machen bei der Hatz gegen soziale Gerechtigkeit und für Spaltung der Gesellschaft munter mit. Die Jagdsaison mit vielen Wahlen ist eröffnet. HEINRICH ETLING, Friedberg

„Endlos“ die DDR bereuen

betr.: „Die endlose Vergangenheit der Linkspartei“, taz v. 10. 1. 11

Stefan Reinecke betreibt mit diesem Kommentar das gleiche Linke-Bashing wie die konservativen und neoliberalen Medien. Im Kommentar vom 6. Januar 2011 („Nicht Lenin, nur Lötzsch) warf er der Linken noch vor, es sich in der Vergangenheit (von Rosa Luxemburg) gemütlich zu machen. Gesine Lötzsch hatte, ganz im Sinne von Karl Marx, für den die kommunistische Gesellschaft eine regulative Idee war, nicht etwas planmäßig zu Verwirklichendes, Wege zum Kommunismus ohne Vorbilder in der Vergangenheit gesucht.

Ganz dem Bekenntnis der westdeutschen antikommunistischen Staatsreligion seit 1945 entsprechend, wurde sie als Verteidigerin der SED-Herrschaft sicher zum Teil bewusst missverstanden.

Ablehnung von Mauerbau, Stasi und so weiter können nicht oft genug wiederholt werden, distanzieren muss sich auch, wer nie in der DDR war (wie Abgeordnete der Linken in Nordrhein-Westfalen).

Die Linke soll „endlos“ die DDR bereuen, anstatt die Dreistigkeit zu haben, eine bessere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu suchen.

STEPHAN UNGEHEUER, Düsseldorf

Vor Lenin und Stalin

betr.: „Linke-Chefin macht auf linksradikal“, taz vom 6. 1. 11

Machen wir es uns doch eine kurze Weile „im Vergangenen gemütlich“, und zwar vor Lenin und Stalin. Kommunismus kommt von communis – heißt „gemeinsam“ –, eine demokratische Idee. Wir haben in Deutschland ja auch beispielsweise die Kommunen als eine gesellschaftliche Institution oder als Orte, wo Menschen gemeinschaftlich leben. Bedenken wir ruhig auch mal, dass die Urchristen auch Kommunisten waren, alles miteinander teilten und dass die alten Germanen den Begriff der Allmende – den Begriff des gemeinsamen Besitzes – kannten und lebten. Was ist daran schlecht, wenn gefordert wird, dass die Menschen, die eine Gesellschaft konstituieren, auch einen gemeinsamen Besitz der Produktionsmittel und der Institutionen, die sie kontrollieren, haben sollen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise wäre uns erspart geblieben.

Vielleicht wäre es klug gewesen, wenn Frau Lötzsch sich deutlich von den Assoziationen, die viele Menschen mit dem historischen Auftreten des sogenannten Kommunismus verbinden, nämlich dem Stalinismus als menschenverachtendes Herrschaftssystem und einer unkreativen Bürokratie in der früheren DDR, abgesetzt hätte. Als ein Ziel einer modernen demokratischen Gesellschaft, die auf gemeinsame Teilhabe aller an möglichst vielen Dingen in dieser Gesellschaft, zum Beispiel in der Wirtschaft, in der Politik, in der Bildung, abhebt, ist Kommunismus ein guter und für jede demokratische Gesellschaft ein empfehlenswerter Programmbegriff.

MECHTILD LUTZE, WOLFGANG EICHLER, Berlin

Nach uns die Apokalypse

betr.: „Ein Gespenst geht um in der Linkspartei“, taz vom 10. 1. 11

Was ist eigentlich so verwerflich daran, wenn jemand laut nachdenkt über eine Gesellschaft, in der die Ausbeutung von Mensch und Natur überwunden ist? „Kommunismus“ meint nämlich eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt und frei sind. Dieser Begriff geht auf das lateinische Wort communis zurück, was „gemeinsam“ bedeutet. Das ganze Geheul aus den Parteien und den systemkonformen Medien, das seit Tagen die Vorsitzende der Linken niederbrüllt, bedeutet doch: Sie hat ein Tabu berührt, an dem niemand rühren darf. Wir alle können offenbar nicht mehr anders, als mit „Augen zu und durch“ weiterzumachen mit dem globalisierten Kapitalismus. Und das heißt „Weiter so!“ mit weltweiten Interventionskriegen zur Sicherung der Rohstoffe und der Handelsströme, „Weiter so!“ mit der Vergiftung des Ozeans, der Zerstörung des Klimas und der Vernichtung der Wälder, „Weiter so“ mit der Spaltung der (Welt-)Gesellschaft in Vermögende und Habenichtse durch den Krieg der Reichen gegen die Armen, „Weiter so“ mit der Vergiftung unserer Lebensmittel usw. Mit anderen Worten: Nachdenken, fantasieren, träumen darüber, wie der für Natur und Menschheit letztendlich tödliche Kurs zu unterbrechen sei, ist nicht gestattet, auch wenn die Welt zugrunde geht – nach uns die Apokalypse!

KURT DOCKHORN, Pfarrer i. R., Braunschweig

Gut, dass es Schlagworte gibt

betr.: „Die endlose Vergangenheit der Linkspartei“, taz v. 10. 1. 11

Stefan Reinecke und Gregor Gysi sind der Meinung, „dass sich Lötzsch nicht zum Kommunismus äußern kann, ohne von Verbrechen zu reden“. Was ist denn das für ein Glaubensgrundsatz?! Müssen wir jetzt die blauen Bände einstampfen?

Für Demokratie, die politische Organisationsform des Kapitals, besteht dieser Grundsatz nicht, obwohl die taz jeden Tag voll ist von den Verbrechen der demokratischen Systeme. Logisch, dass Reinecke das „Totalitarismus“-Argument herankarrt, ein Totschlagargument wie Unrechtsstaat, ohne die leiseste Problematisierung dieses Begriffs, im Gegenteil mit einer Selbstgewissheit, die im „linken Antitotalitarismus“ gipfelt.

Wie gut, dass es Schlagworte gibt! Manchmal gehen die Schläge auch daneben.

URSULA LEPPERT, München

In einem Text zur Rosa-Luxemburg-Konferenz schrieb Gesine Lötzsch für die junge welt: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Politik und Medien waren empört und warfen Lötzsch vor, sich nicht gleichzeitig vom Stalinismus und dem Terror kommunistischer Regime distanziert zu haben. Die CSU sprach gar von einer Verfassungsfeindlichkeit und wollte gegen die Linke „unter Umständen“ ein Verbotsverfahren anstrengen.

Mehr Verständnis für Gesine Lötzsch und die Linke hatten dagegen viele taz-LeserInnen und widersprachen in Online-Kommentaren und Zuschriften an die Leserbriefredaktion Artikeln und Kommentaren in der taz. Einen Teil der Leserbrief-Zuschriften dokumentieren wir auf dieser Seite. Weitere Kommentare lesen Sie auf www.taz.de.