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Archiv-Artikel

DIE DEUTSCHEN BÜRGER WISSEN GENAU, WAS SIE VON DER EU ERWARTEN Präzise Begeisterung

Angela Merkel will die Welt wieder so begeistern, wie es mit der Fußball-WM gelungen ist. Womit? Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Doch: Begeistern konnte sie mit diesem Vorsatz nicht einmal die eigenen Abgeordneten letzte Woche. Die Reihen des Bundestags waren leer, die Reden lustlos. Wenige Tage vor Beginn der Ratspräsidentschaft gibt es keine Aufbruchstimmung, keine Idee, wie man die EU aus der Krise führen kann.

Was allerdings kaum verwundert. Der Bundesregierung geht es mit der Ratspräsidentschaft in etwa so wie einer Familie mit Weihnachten. Das ganze Jahr wird gestritten, und dann soll für kurze Zeit Friede und Freude herrschen. Die Liste der Streitpunkte zwischen Berlin und Brüssel ist lang, gerade eben versucht man noch schnell eine Einigung über den Emissionshandel zu finden. Politiker, die jahrelang ihren Frust über die immer geringer werdenden Kompetenzen auf den „Moloch“ Brüssel abgeladen haben, werden nicht plötzlich zu Europa-Fans.

Auch die Bundesbürger haben bisher noch keine Europafahnen aus ihrem Fenster gehängt. Allerdings scheinen sie ziemlich genau zu wissen, was sie von Brüssel wollen. Seit Jahren befürworten 80 Prozent von ihnen eine EU-Verteidigungspolitik. Nun gibt es laut neustem „Eurobarometer“ eine schnell wachsende Zustimmung zu einer gemeinsamen EU-Energiepolitik.

Doch genau hier sperren sich die Politiker. Zwar hat Merkel Klima und Energie zu einem Schwerpunkt ihrer EU-Präsidentschaft gemacht, aber ob Berlin tatsächlich bereit ist, eigene Kompetenzen an Brüssel abzugeben, muss sich erst noch zeigen. Auch bei der Innenpolitik, ebenfalls weit oben auf der EU-Agenda der Bundesbürger, verteidigen die deutschen Politiker ihre nationale Zuständigkeit.

Nach dem Nein der Franzosen zur Verfassung war viel davon zu hören, dass die EU-Politik zu abgehoben sei. Damals nahm man freilich an, dass die Bürger europaskeptischer als die Politiker seien. Tatsächlich jedoch ist es umgekehrt: Vielleicht wissen die Bundesbürger nicht allzu viel über die Verfassung, wenn es jedoch um die drängendsten Probleme geht, sind sie überzeugt, dass nationale Politik allein nicht mehr ausreicht. SABINE HERRE