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Archiv-Artikel

Staatsrechtler nimmt Köhler in Schutz

Der Bundespräsident ist mit seiner harten Linie gegen Schwarz-Rot ein „Glücksfall“, urteilt Staatsrechtler Schoch

BERLIN taz ■ Die Bundesregierung bereitet keine Verfassungsklage gegen Bundespräsident Horst Köhler vor. Dies betonte gestern Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und wies damit verschiedene Medienberichte zurück. Horst Köhler war in den letzten Tagen vonseiten der Regierungsfraktionen stark unter Druck geraten, weil er zwei Gesetze nicht unterzeichnet hat, die er für verfassungswidrig hielt. Kritiker warfen ihm vor, er überschreite seine Kompetenz, wenn er sich als Schiedsrichter in juristischen Detailfragen aufspiele.

Gestern nahm Friedrich Schoch, der Vorsitzende der Deutschen Staatsrechtslehrer-Vereinigung, den Bundespräsidenten öffentlich gegen die „unhaltbaren Anwürfe“ in Schutz. Köhler habe „gar keinen Spielraum“ gehabt, er habe die Unterschrift unter die beiden Gesetze zur Flugsicherung und zur Verbraucherinformation verweigern müssen, sagte der Freiburger Rechtsprofessor.

Die Position kann nicht überraschen. Schoch dürfte vermutlich der Rechtsprofessor sein, der zurzeit den größten Einfluss auf den Bundespräsidenten hat. Er schrieb für Köhler das Gutachten, in dem die Privatisierung der Flugsicherung als verfassungswidrig abgelehnt wurde, weil der Staat seinen bestimmenden Einfluss aufgebe. Außerdem riet er Bundespräsident Köhler, auch beim Verbraucherinformationsgesetz hart zu bleiben. Es handele sich so kurz nach der Föderalismusreform um einen „Präzedenzfall“. Im Verbraucherinformationsgesetz habe der Bund den Kommunen unzulässigerweise neue Aufgaben zugewiesen, so die Einschätzung des Juristen – der sich Nicht-Jurist Köhler einmal mehr anschloss.

Wenn es nach Schoch geht, sollte Köhler sogar noch viel häufiger Gesetze stoppen. „Wenn der Bundespräsident davon überzeugt ist, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, darf er nicht unterschreiben“, sagte Schoch. Bisher war die Staatspraxis, dass ein Gesetz „offenkundig und zweifelsfrei“ verfassungswidrig sein müsse. Die bloße Überzeugung des Bundespräsidenten war jenseits von Verfahrens- und Kompetenzfragen nicht als ausreichend erachtet worden.

„Bei jedem Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht später aufhebt, hat der Bundespräsident zuvor nicht richtig geprüft“, argumentierte Schoch. Er fand es deshalb auch falsch, dass Köhler das Luftsicherheitsgesetz unterschrieb, um am Ende Karlsruhe entscheiden zu lassen.

„Auch hier hätte er gleich die Unterschrift verweigern sollen“, sagte Schoch. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz, das den Abschuss entführter Flugzeuge erlaubte, später partiell für verfassungswidrig. Dass der Bundespräsident – oder seine Berater – zu mächtig werden könnten, fürchtet Schoch nicht. „Der Bundestag kann den Bundespräsidenten ja jederzeit in Karlsruhe verklagen.“ Schoch findet die Hemmschwelle für solche Klagen auch nicht sehr hoch: „Das ist ja nichts Persönliches.“

In der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik hat es eine solche Präsidentenanklage allerdings noch nie gegeben. Und nur achtmal in mehr als 57 Jahren haben Bundespräsidenten ein Gesetz nicht unterzeichnet, zwei dieser Vetos legte Köhler in den letzten sechs Wochen ein. Schoch sagt, Horst Köhler sei ein „Glücksfall“. Denn in den letzten Jahrzehnten sei die interne verfassungsrechtliche Prüfung in der Bundesregierung immer schlechter geworden.

CHRISTIAN RATH