: Kläger fühlen sich auf ewig vertrieben
Die „Preußische Treuhand“ stützt ihre Entschädigungsklage beim Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte auf das Konstrukt eines fortbestehenden „Dauerdelikts“ Vertreibung. Es geht um Fälle aus der Zeit zwischen 1944 und 1950
AUS BERLIN CHRISTIAN RATH
Lange war über den Inhalt der Klagen spekuliert worden, gestern stellte die Preußische Treuhand sie endlich vor. Die kleine Privatfirma aus dem Umfeld der Schlesischen Landsmannschaft hat bereits 22 Klagen von Vertriebenen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht. Alle Klagen betreffen Vertreibungen aus Polen zwischen 1944 und 1950. Klagen von Spätaussiedlern, die in späteren Jahrzehnten ihr Eigentum in Polen verloren, sollen erst im nächsten Jahr folgen.
Die Kläger wollen Hausgrundstücke und Gewerbeflächen zurückhaben, keine Geldentschädigung. „Wenn ein Haus bewohnt ist, genügt auch ein vergleichbares Ersatzgrundstück“, sagte Anwalt Thomas Gertner, „wir wollen keine polnischen Privatpersonen verdrängen.“ Nach ihrer Rückkehr würden die Vertriebenen unternehmerisch tätig werden und in Polen investieren, kündigte Rudi Pawelka an, Aufsichtsrat und geistiger Motor der Preußischen Treuhand.
Anwalt Gertner beruft sich auf das Grundrecht auf Eigentum, das in einem Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert ist. Wer kein NS-Verbrecher war, soll rehabilitiert werden und sein Eigentum zurückerhalten. „Die große Mehrzahl der Vertriebenen hat nichts anderes gemacht als politisch angepasst zu leben“, sagte Anwalt Gertner. „Man kann uns nicht die Verbrechen des Dritten Reichs vorwerfen“, ergänzte Pawelka, „jedes Unrecht, jedes Verbrechen steht für sich“.
Straßburger Beobachter halten die Klagen der Preußischen Treuhand für aussichtslos, denn sie müssten zwei große Hürden überwinden. Zum einen ist die Menschenrechtskonvention erst 1950, also nach den Vertreibungen, in Kraft getreten. Polen hat sie sogar erst 1990 ratifiziert. „Wir betrachten die Vertreibungen aber als Dauerdelikt, das noch nicht beendet ist“, sagte Gertner. Dies sei möglich, weil die Kollektivbestrafung der Deutschen eine „schwere Menschenrechtsverletzung“ sei.
Problematisch ist auch, dass die Kläger direkt nach Straßburg gingen, ohne es zunächst bei Gerichten in Polen zu versuchen. Doch diesen Weg hielt Anwalt Gertner für „offensichtlich aussichtslos“, da es in Polen bisher keine Gesetze zur Rehabilitierung der Vertriebenen gebe.
Gertner hat bereits Erfahrungen mit Niederlagen am Straßburger Gerichtshof. Zuletzt vertrat er dort die ostdeutschen Alteigentümer, die sich erfolglos gegen sowjetische Enteignungen nach 1945 und die angeblich unzureichende Entschädigung wehrten. 2005 lehnte der Gerichtshof für Menschenrechte ihre Klage als unzulässig ab. Gertner unbeirrt: „Auch aus Niederlagen kann man lernen.“ Auf die Vorstellung des neuen Anwalts hatte man mit Spannung gewartet. Bereits zweimal waren die engagierten Advokaten wegen des außenpolitischen Wirbels abgesprungen. Auch gestern distanzierte sich die Bundesregierung von den Klagen, polnische Politiker empörten sich. Am Verfahren selbst will sich die Bundesregierung aber mit einer Stellungnahme beteiligen.