„Unser Gott wird darüber nicht böse sein“

Weihnachts-Varianten (5): Wie verbringen Nicht-Christen Weihnachten? Der Muslim Göksel Hasköy über den Wunsch der Kinder nach Weihnachtsgeschenken, die „Verdeutschten“ und die streng Religiösen, die Zweifel an der richtigen Religion fürchten

Als ich in der ersten Klasse war, kamen nach den Weihnachtsferien alle Kinder in die Schule und dann ging das zwei, drei Tage lang, dass sie erzählt haben: Ich habe Schuhe bekommen, dies und das und ich habe mich geärgert und war traurig, dass ich nichts erzählen konnte, obwohl ich jeden Tag etwas bekam. Da bin ich nach Hause gegangen und habe gesagt: „Mama, weißt du was – ich will Weihnachten beschenkt werden.“ Sie hat gesagt: „Ja, gut. Aber du könntest genauso gut sagen: ,Weihnachten hin oder her. Ich kriege jeden Tag, was ich will. Das ist doch noch viel besser.‘“ Da habe ich gesagt: „Ja, Mama. Du hast ja recht. Wir können das auch gerne beibehalten. Nur Weihnachten möchte ich extra was haben.“

Dann haben wir es so eingeführt. Ich hatte zwei deutsche Adoptivomis, das waren unsere Nachbarinnen, und Weihnachten sind wir zu einer von ihnen rübergegangen und haben dann mit ihr gefeiert. Es gab einen Weihnachtsbaum und ich habe „Oh Tannenbaum“ mitgesungen. Da haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich hatte meine Weihnachtsgeschenke und die Omis waren nicht allein.

Wir haben das auch einige Jahre beibehalten, es war einfach eine Geste: Meine Mutter schenkt dem Sohn etwas, obwohl wir nicht daran glauben. Dann war ich vor zehn Jahren an einem 25. Dezember auf einem türkischen Konzert und mir wurde immer mulmiger. Ich habe mir ein Taxi gerufen und bin nach Hause gegangen, habe die Tür aufgeschlossen, alles war dunkel und – hups! – stolpere ich. „Moment“, denke ich, „das ist aber süß. Meine Mutter hat mir doch etwas zu Weihnachten geschenkt. Aber blöd, dass sie es vor die Tür packt.“ Und dann mache ich die Tür auf, Licht an und gucke: Da haben sie meine Wohnung ausgeraubt und es war eine Schublade, die sie da hingeschmissen haben.

Na ja, jetzt werde ich nicht mehr beschenkt, aber ich möchte es weiterführen. Bislang waren meine Kinder zu klein, sie verstanden nicht, worum es geht. Aber jetzt wollen wir ihnen etwas Kleines kaufen und sagen: Das hat der Weihnachtsmann gebracht. So dass der Große erzählen kann: „Bei mir war auch der Weihnachtsmann.“

Bei den Türken insgesamt wird das sehr unterschiedlich gehandhabt. Bei den streng Religiösen wird nichts geschenkt, damit die Kinder das nicht verherrlichen oder in Zweifel kommen, dass ihre Religion die richtige ist. Ich finde das schade. Man kann seinem Kind ja erklären: Das ist das Christentum und Weihnachten ein Fest von denen wie bei uns der Ramadan und das Schlachtenfest. Für uns ist Ramadan etwa so wichtig wie Weihnachten, und das Schlachtenfest entspräche Ostern. Beim Schlachtenfest erinnern wir uns an Abraham, der seinen Sohn opfern wollte, bis der Prophet zu ihm sagte: Opfere nicht deinen Sohn, nimm das Lamm. Seitdem wird bei uns an diesem Tag ein Lamm geschlachtet, eigentlich nicht für uns selbst. Was hier leider Gottes nicht so der Fall ist, das heißt viele essen das Lamm selbst. Dabei soll es ein Opfer für Gott sein und wird eigentlich an Arme verteilt. Wenn sie hier etwas weggeben, dann geht es an Bekannte, und wenn du etwas bekommt, kriegst du die Knochenstücke und fettigen Seiten. Und dann denken sie, das kommt da oben gut an. Ich glaube, es ist ganz das Gegenteil, weil du eigentlich versuchst, ihn zu verarschen.

Und dann gibt es diejenigen, die wir „verdeutscht“ nennen. Das heißt, anpassen wäre die eine Seite und verdeutscht die andere. Familien, die sich schämen, dass sie Türken sind. Die feiern Weihnachten mit Tannenbaum, man lädt deutsche Freunde ein, damit sie sehen: Wir gehören zu euch, wir sind deutsch. Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, seine Herkunft zu verleugnen. Sie lassen ihre Religion hinter sich, ohne zum Christentum überzugehen.

Ich selbst betrete meine Schneiderei immer mit Gottes Namen und ich verlasse ihn mit Gottes Namen. Eigentlich müsste ich fünfmal am Tag beten, das mache ich noch nicht. Ich bin halt der Meinung, dass Religion und gerade unsere Religion, eine Sache ist, bei der man sich von allem Bösen trennen muss. Aber ich habe zum Beispiel gerade kürzlich Sportwetten gemacht – das stößt sich für mich ab. Insgesamt denke ich aber, dass es eine Sache zwischen Gott und mir ist. Und dass ich die Kinder beschenke – ich glaube nicht, dass unser Gott so böse darüber ist, dass man seine Kinder nicht hat dumm dastehen lassen.

Was mir absolut nicht gefällt, ist der Weihnachtsmarkt. Ich verstehe nicht, wie die Leute in der Kälte herumstehen können und ihren Grog oder was auch immer trinken. Aber da weiß ich halt wieder: Das ist die deutsche Kultur. Egal, wo ich gearbeitet habe, wenn Weihnachtszeit war, kamen die deutschen Mitarbeiter am nächsten Tag und sagten: Wir haben so schön Weihnachtsgrog getrunken. Dann habe ich gesagt: „Was ist daran so schön?“ Manchmal glaube ich, dass sie es nur machen, um am nächsten Tag darüber erzählen zu können.

Ich weiß nicht, ob die Juden Weihnachten feiern. Wenn nicht, dann ist es für sie wohl auch eine unwohle Zeit, weil du eigentlich nicht viel damit zu tun hast. Aber im Grunde nur an einigen Tagen. An den Sonntagen stört mich das weniger, da mag ich auch mit meiner Familie auf dem Weihnachtsmarkt spazieren gehen. PROTOKOLL: GRÄ