: Trip durch einen Mythos
KUNSTPREIS Ohne Sponsor und Museum: Der Berlin Art Prize will das unsichtbare Kunstbetriebs-Netzwerk aus Macht und Connections aufmischen. Im Kühlhaus am Gleisdreieck sind die Nominierten zu sehen
VON INGO AREND
Fragt man Künstler, was sie an ihrem Beruf am meisten stört, kommt zumeist die Antwort: „Der Betrieb.“ Womit nicht nur der Geräuschpegel aus Messen und Vernissagen gemeint ist. Sondern das unsichtbare Netzwerk aus Macht und Connections. Von dem sich alle ausgegrenzt, missachtet fühlen. Die Versuche, „den Betrieb“ wenigstens ein bisschen auszuhebeln, sind Legion.
Insofern ist der „Berlin Art Prize“, der am Wochenende zum zweiten Mal vergeben wurde, kein Newcomer in Sachen sanfte Subversion des Etablierten. Doch wie er dabei Systemkritik mit so etwas wie Schönheit verbindet, das macht ihn über die Stadt hinaus beachtenswert. Denn anders als all die anderen Preise sollte schon werden, was sich die Kunstkritikerinnen Sophie Jung und Alicia Reuter, die Künstler Zoë Claire Miller und Ulrich Wulff und die Architekten Lorenz Schreiber und Attila Saygel im vergangenen Jahr ausdachten: Ein unabhängiger Preis sollte es sein, einer, der keinen Namen eines Sponsors oder Museums trägt.
Einer, bei dem es nur um die Kunst und nicht um prominente Namen geht – die Einsendungen werden anonymisiert juriert. Ein Preis sollte es sein, der den kreativen Gemeinschaftsgeist der Berliner Nachwendezeit wiederbelebt, den der Konkurrenzdruck der neoliberalen Verhältnisse gefressen hat. Das Umgedrehte „A“ im Logo des Art-Prizes steht für diese Idee: Die real existierenden Kunstpreise einfach mal auf den Kopf stellen! 20.000 Euro privat gestemmte Kosten war sie der Art-Prize-Crew wert.
Offenbar haben die Prize-Macher damit einen Nerv getroffen. Der Preis ist kaum bekannt, geschweige denn renommiert. Das „Prize“-Geld beträgt lächerliche 1.000 Euro. Trotzdem haben sich in diesem Jahr über 1.200 Berliner Künstlerinnen und Künstler beworben. Und nur für ein überflüssiges Noch-ein-Preis-Projekt hätten seine Erfinder auch nicht erneut eine hochkarätige Jury zusammenbekommen.
Aus den 30 Nominierten, die diverse Vorrunden überstanden haben, wählten in diesem Jahr die Künstlerinnen Cosima von Bonin, Judith Hopf und Egill Sæbjörnsson, die Kunstkritikerin Kimberley Bradley und Nicolaus Schafhausen, der Direktor der Kunsthalle Wien, die drei Gewinner aus. Neben dem Preisgeld, einem vom Goethe-Institut finanzierten Arbeitsaufenthalt im georgischen Tbilissi, winkt ihnen auch noch eine, in diesem Jahr von dem Künstler Markus Selg gestaltete „Trophäe“.
Ein dramatisch neues Bild des Berliner Kunstschaffens hat der Preis nicht zu Tage gefördert. Unter der Dreißiger-Gruppe, die nun vierzehn Tage im Kühlhaus am Gleisdreieck zu sehen ist, finden sich von der Malerei über die Fotografie bis zur Sound-Installation alle gängigen Genres. Auffällig ist eine Renaissance des Textilen. Ob Kaoro Hirano die Kleider einer „Berlin Family“ in ihre Fäden aufdröselt und damit entpersonalisiert. Oder ob Katja Ungers das volkshochschulverdächtige Teppich- zum anarchistischen Graffiti-Knüpfen konvertiert.
Kritiker könnten einwenden, mit Preisen wie den für „Beste Komposition“ und „Bestes Konzept“ werde ein apolitischer Formalismus gefeaturet. Die Prize-Macher leisten diesem Verdacht Vorschub, wenn sie im Katalog davor warnen, „die Bewertung zeitgenössischer Kunst theoretisch zu überfrachten“. Ihre drei Preisträger freilich widerlegen derlei Befürchtungen.
Ulu Brauns zehnminütiges Video „Forst“ ist ein surrealistischer Trip durch einen ideologisch aufgeladenen Mythos („Beste Komposition“). Grandios mischen sich darin versponnene Poesie und digitale Raffinesse. Die Bilder bunt geäderter Käsestücke vor Marmorwänden von dem Fotografenduo Des Ptohograhpies inszenieren die Mimikry von Natur und Kultur („Bestes Konzept“). Und der „Preis der Jury“ prämiert eine interaktive Skulptur: Okka-Esther Hungerbühlers „Blume“, bei der Federn auf einem Klebeband-Podest stecken, öffnet sich vor dem Betrachter.
Ob der Berlin Art Prize die Verhältnisse in der selbst ernannten Weltkunsthauptstadt von unten aufmischt, bleibt abzuwarten. Zumindest hat er sichtbar gemacht, was sie so einzigartig macht: Eigeninitiative und neue Kunst.
■ Berlin Art Prize. Noch bis zum 28. Juni 2014, Kühlhaus Berlin, Luckenwalder Str. 3, Kreuzberg. Dienstags bis Samstags von 13 bis 19 Uhr. Katalog 17 Euro