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Archiv-Artikel

„Die Unbeteiligten sind die Leidtragenden“

Der drohende Bürgerkrieg in Palästina macht die Exilgemeinde in Berlin vor allem traurig, sagt Nader Khalil. Dass die Kämpfe auch zu Konflikten innerhalb der palästinensischen Community in Berlin führen könnte, glaubt der Bezirkspolitiker nicht: „Die Menschen hier leben friedlich miteinander“

taz: Herr Khalil, Sie sind Berliner palästinensischer Herkunft. Sorgen Sie sich, dass die Kämpfe zwischen Anhängern der Fatah und der Hamas im Gaza-Streifen auch in Berlin zu Konflikten innerhalb der palästinensischen Gemeinde führen könnten?

Nader Khalil: Nein, das glaub ich nicht. Die Menschen hier leben friedlich miteinander, auch wenn sie von ihrer Einstellung her die eine oder die andere Seite bevorzugen. Natürlich macht es uns Sorge, was da unten im Gaza-Streifen passiert. Aber ich glaube nicht, dass der gewaltsame Konflikt nach Berlin schwappen wird.

Sie sagen: Ich glaube …

Klar, man kann nie wissen, aber ich bin mir sicher, dass niemand hier in Berlin den Kopf verlieren wird. Ich bin schon 15 Jahre in der Community aktiv und kann das beurteilen.

Wie kommen die Nachrichten von dort denn in der hiesigen palästinensischstämmigen Gemeinde an?

Wir, die Palästinenser und Palästinenserinnen in der Diaspora, sind vor allem traurig. Wir sehen, dass Zivilisten die Opfer dieser Auseinandersetzung sind. Unser Leben lang sehnten wir uns nach etwas, das Heimat ist. Jetzt hätten wir so etwas wie eine Heimat, und da gerät dieser Flecken Erde in einen Machtkampf und eine innere Zerreißprobe. Die Palästinenser in Berlin würden gerne viel mehr dazu beitragen, dass der Konflikt auf die Gesprächsebene verlagert wird.

Zieht sich die Konfliktlinie mitten durch die Nachbarschaften und Familien, die im Gaza-Streifen leben?

Der Gaza-Streifen ist einer der dichtbesiedeltsten Flecken der Erde. Das Leben dort ist nicht einfach.

Zieht sich der Riss zwischen Fatah und Hamas auch durch die hier lebenden palästinensischen Familien?

Das ist weit hergeholt. Wir haben aus der Entfernung eher das Gesamtproblem im Blick. In der Diaspora haben wir gelernt, dass man politische Probleme durch Diskussionen lösen kann – und nicht mit Gewalt.

Wie erklären Sie es Ihren Kindern, dass es dennoch plötzlich Lager gibt, die aufeinander losgehen?

Die Frage ist berechtigt. Wir bringen unseren Kindern immer bei, dass es ein palästinensisches Volk gibt. Und nun das. Jetzt ist es umso wichtiger, dass wir den Kindern Alternativen aufzeigen zur Gewalt.

Welche Alternativen gäbe es denn?

Wir Exilpalästinenser wollen ein blühendes, ein demokratisches Palästina. Wir müssen den Kindern vor Augen führen, dass man in einem friedlichen Staat positive Entwicklungen haben kann. Wir wollen Frieden für das Land, einen besseren Lebensstandard und wirtschaftliche Erfolge, damit es den Leuten dort besser geht. Natürlich muss man den Kindern auch erklären, dass die Palästinenser Spielball internationaler Interessen sind.

Gehen Sie in die Schulen, um die Jugendlichen nun davor zu bewahren, sich auf eine Seite zu schlagen?

Zu Diskussionen kommt es vor allem in den Familien und in den Vereinen. An den Schulen ist es noch nicht so sehr Thema. Aber wenn wir in den Weltkundeunterricht eingeladen werden, dann gehen wir da natürlich hin und klären auf.

Was wird in Berlin getan, um die Konfliktlinien zu befrieden?

Wir schicken Appelle los an Mahmut Abbas, den Präsidenten der Palästinenser, und an die anderen Parteien und fordern sie auf, den Konflikt friedlich zu lösen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die palästinensische Gemeinde hier in Berlin auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene stärker wäre. Dann könnte sie sich auch stärker einmischen.

Gibt es unter den palästinensischen Migranten hier in der Stadt keine politische Richtung, die auch ein Interesse hat, an der Konfliktschraube zu drehen?

Natürlich gibt es politische Zugehörigkeiten. Wer aber von Berlin aus auf den Konflikt schaut, sieht sofort, dass nur die Unbeteiligten die Leidtragenden sind, wenn man seine Überzeugungen mit Gewalt versucht durchzusetzen. Wir können von hier aus nur reden. Ich hoffe, die Palästinenser sind klug genug, die Probleme miteinander zu lösen, nicht gegeneinander. Die Menschen dort leben immer noch unter der israelischen Besatzung. Sie sind eingesperrt in einem Riesengefängnis. Das kann explodieren. Das Problem ist eine Folge der Besatzung. Die Israelis wollen, dass sich die Palästinenser untereinander beschäftigen und nicht mit den Mächten, die von außen ihr Leben bestimmen.

Interview Waltraud Schwab