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Archiv-Artikel

„Abu Ghraib war kein Zufall“

Die Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld wegen Kriegsverbrechen führt vielleicht nicht zum Prozess. Doch sie kann dazu beitragen, Menschenrechtsverletzungen juristisch besser zu bekämpfen, sagt der Anwalt Wolfgang Kaleck

taz: Herr Kaleck, Sie machen Ex-Verteidigungsminister Rumsfeld und andere hochrangige US-Militärs für die Folter in den Gefängnissen von Abu Ghraib und Guantánamo verantwortlich. Wie reagiert die Bundesanwaltschaft?

Wolfgang Kaleck: Die Bundesanwaltschaft ließ verlautbaren, sie wolle sorgfältig prüfen, ob ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird oder nicht. Das ist angesichts des Umfangs der Strafanzeige von 385 Seiten plus Zeugenaussagen und sechs Sachverständigengutachten auch notwendig.

Mit einer ähnlichen Strafanzeige sind Sie vor zwei Jahren gescheitert. Der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm meinte, eine Strafverfolgung im Land der Täter müsse Vorrang haben. Was hat sich seitdem geändert?

Die Bundesanwaltschaft hat damals erklärt, es sei nicht abzusehen, wieweit die Ermittlungen in den USA gedeihen werden. Die Informationen, die wir aus den USA hatten, liefen schon Anfang 2005 darauf hinaus, dass nicht die militärische Befehlskette hinauf ermittelt wurde. Im Gegenteil: Im Zusammenhang mit den Misshandlungen von Gefangenen wurde alles getan, um das Fehlverhalten der politischen und der militärischen Führung zu vertuschen. Anders als vor zwei Jahren werden wir jetzt auch von prominenten Rechtswissenschaftlern und Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch unterstützt. Die glauben inzwischen nicht mehr daran, dass der Folterskandal in den USA aufgeklärt wird.

Sie haben auch eine neue prominente Zeugin aufgeboten, die Exgeneralin Janis Karpinski, die frühere Leiterin des Foltergefängnisses Abu Graib in Bagdad. Warum?

Janis Karpinski kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die Folterungen in Abu Ghraib keineswegs Zufall waren oder das Ergebnis sadomasochistischer Anwandlungen einiger weniger Soldaten. Nein, es waren exakt die selben Praktiken, die nach dem 11. September in Afghanistan und Guantánamo angewendet wurden und die gezielt in den Irak exportiert wurden, um angeblich besser verwertbare nachrichtendienstliche Informationen aus den Gefangenen herauszuholen.

Der frühere Verteidigungsminister Rumsfeld ist doch wohl kaum alleine für die Foltermethoden verantwortlich.

Neben Rumsfeld ist sicherlich der noch amtierende Vizepräsident Richard Cheney eine weitere zentrale Figur. Da er aber keine Order unterzeichnet hat und persönlich nicht in diese Vorgänge involviert war, haben wir auf seine Benennung in der Strafanzeige verzichtet. Sonst verfolgen wir die Befehlskette hinauf – von Kommandeuren wie Thomas M. Pappas, der als Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes in Abu Ghraib für die Verhörmethoden verantwortlich war, bis zu Justizminister Alberto Gonzales.

Die US-Regierung bestreitet vehement jede Form von Folter. Sie spricht allenfalls von verschärften Verhörmethoden.

Es geht hier nicht um Streit über Begriffe. Das zeigt zum Beispiel ein Pentagonbericht zur Vernehmung des Gefangenen Muhammed al-Qathani in Guantánamo. Qathani ist über Wochen durch achtzehn- bis zwanzigstündige Vernehmungen am Schlaf gehindert worden, er wurde an einer Leine durch den Raum geführt und musste dabei Hundekunststücke machen. Darüber hinaus wurde ersiebzehnmal in Wasser getränkt und bei den Verhören musste er einen Büstenhalter tragen. Sogar innerhalb der US-Regierung sind diese Verhöre als Verbrechen benannt worden.

Sollte die Bundesanwaltschaft tatsächlich ein Ermittlungsverfahren einleiten, glauben Sie wirklich, dass an dessen Ende ein Prozess gegen Rumsfeld steht?

Unser Fernziel ist natürlich die Einleitung eines Strafverfahrens, das zur Anklageerhebung und zu einer Hauptverhandlung führen sollte – und das will vorbereitet sein. Dazu müssen jetzt Beweise gesichert und zur Aussage bereite Zeugen wie die Geschädigten und wie Frau Karpinski von der Bundesanwaltschaft vernommen werden. Dazu müssen sich international Juristen über die Frage verständigen, wer in diesem Folterprogramm wann und welche Rollen gespielt hat. Das Wissen darum ist die Basis für eine erfolgreiche Strafverfolgung. Wir sind auch nicht so vermessen zu glauben, dass unser Anliegen automatisch in einer Strafverfolgung mündet, nur weil wir hier einen Haufen Papiere vorlegen. Wir sehen uns als Teil eines weltweiten Netzwerkes, das Folter und Menschenrechtsverletzungen juristisch bekämpfen will. Wir wollen die Grundlage dafür schaffen, dass jetzt oder zumindest in absehbarer Zeit die insoweit eindeutigen Gesetze umgesetzt und so mächtige Männer wie Verteidigungsminister Rumsfeld strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Und selbst wenn wir mit unserem jetzigen Versuch in Karlsruhe scheitern sollten, wir werden nicht lockerlassen. Irgendwann wird jemand auf der Basis solcher gescheiterter Versuche Erfolg haben.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST