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Archiv-Artikel

Frühling im Herbst

Der wärmste Herbst seit dem Beginn der Wettermessung bringt Flora und Fauna durcheinander. Tiere und Pflanzen leiden noch nicht, sagen Experten

Im Dezember blühen die Rosen, an den Obstbäumen sind Knospen zu finden

Von Wolfgang Löhr

Für die Astronomen beginnt am Freitag der Winter. Doch von winterlichen Temperaturen kann derzeit nicht die Rede sein. Stattdessen verzeichnen die Meteorologen in weiten Teilen Europas Rekordtemperaturen.

Auch für die Natur scheint aufgrund des ungewöhnlich warmen Herbstes dieses Jahr der Winter ganz auszufallen. Im Garten blühen immer noch die Rosen, an den Obstbäumen sind jetzt schon dicke Knospen zu finden. Selbst von blühenden Kirschbäumen wurde schon berichtet. Doch obwohl die zu warmen Herbsttemperaturen schon einiges in der Natur durcheinander gebacht haben: Pflanzen und Tiere stecken das milde Klima relativ gut weg.

Ungewöhnlich für die Jahreszeit war auch die Pollenwarnung des Deutschen Wetterdienstes vor wenigen Tagen: Erstmals im Dezember wurde bundesweit Pollenflug registriert, der den Allergikern zu schaffen machte. Noch nie zuvor habe es einen so frühen Pollenflug gegeben, sagte der Leiter des Deutschen Polleninformationsdienstes, Karl-Christian Bergmann. Grund dafür waren Haselnuss- und Erlenpollen. Normalerweise setzt dieser erst im Februar ein.

„Noch brauchen wir uns nicht allzu viel Sorgen zu machen“, sagt der Ackerbauexperte beim Deutschen Bauernverband (DBV), Jens Rademacher. Wintergerste, -weizen, -roggen und Winterraps seien zwar üppiger als in anderen Jahren. „Die stecken das aber weg.“ Gefahr drohe nur, wenn jetzt plötzlich die Temperaturen stark abfallen würden. Bei Frost könnten die Pflanzen erfrieren. Auch Schneefall könnte für die sprossenden Pflanzen noch gefährlich werden. „Die relativ weit entwickelten Pflanzen sind besonders anfällig für Schneeschimmel.“ Unter den feuchtwarmen Bedingungen einer geschlossenen Schneedecke können die für Pflanzen schädliche Schimmelpilze gut gedeihen. Das Beste wäre, so Rademacher, wenn die Temperaturen ganz langsam absacken, sodass die Pflanzen sich an den Frost gewöhnen und unbeschadet in die Winterstarre fallen können. Um die Ausfälle möglichst niedrig zu halten, können betroffene Landwirte dann nur im Frühjahr auf Sommergetreide und Sommerraps umsteigen.

Dass der Frost nicht zu schnell kommt, wünschen sich auch die Forstexperten. Die warme Witterung hatte bisher keine schädigende Wirkung auf die Bäume. „Laubbäume, die ihre Blätter abwerfen, sind bereits in Winterruhe, da sie ohne Blätter keinen Photosynthese mehr betreiben“, erklärte Stefanie Hahn von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig. Ein Temperatursturz könnte aber trotzdem zu Erfrierungen führen.

Für die Forstwirtschaft war der ungewöhnliche Herbst dieses Jahr sogar vorteilhaft. Nachdem sich die Borkenkäfer im warmen Sommer gut vermehren konnten, können sich bei den derzeitigen Temperaturen auch die Feinde des Baumschädlings gut reproduzieren. Dazu gehört etwa ein Pilz, der Insekten schwächt oder abtötet.

Unter anderen Insekten werden wir vielleicht nächstes Jahr stärker zu leiden haben. Der warme Spätherbst habe die Saison für Mücken, Fliegen und Zecken einfach verlängert, sagt der Düsseldorfer Insektenforscher Professor Heinz Mehlhorn. Die vor dem Winter abgelegten Eier und Larven können bei den derzeitigen Temperaturen gut überleben. Das könnte sich nur ändern, wenn es ein paar Tage hintereinander richtig kalt werde.