: Edmund Stoiber, der Gesundheits-Shrek
Für den bayerischen Ministerpräsidenten zählt nur eines: ein gutes Wahlergebnis bei der Landtagswahl 2008
MÜNCHEN taz ■ Es wirkt planlos, aber es hat System – zumindest für Bayern, den Nabel der Welt. Erst stimmt Edmund Stoiber, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, am 3. Juli dem Großprojekt Gesundheitsreform zu. Und jetzt, ein halbes Jahr später, schießt er den 600-Seiten-Gesetzentwurf wie kein anderer über den Haufen, und die zuständige Ministerin gleich mit.
„Ich bin skeptisch, ob Frau Schmidt wirklich eine seriöse Sachwalterin gemeinsamer Interessen ist“, zetert der Oberbayer. Aktueller Anlass: Ein Gutachten der Arbeitgeber-Lobby „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), das alte Ängste der reichen Unionsländer aufwärmt. Vor allem Bayern fürchtet seit je, dass es beim 2009 startenden Gesundheitsfonds draufzahlen muss. Es könnte die unangenehme Situation für Stoiber entstehen, dass die gutverdienenden Bayern sehr viel mehr Beiträge einzahlen, als sie aus dem System herausbekommen.
Auf 1,7 Milliarden Euro Mehrkosten für die Bayern kam die Staatsregierung – und drückte daraufhin bei den Koalitionsverhandlungen im Sommer eine „Konvergenzklausel“ durch, die das bayerische Risiko auf höchstens 100 Millionen Euro limitiert. Man könnte meinen, damit sei die Sache für Stoiber erledigt.
Aber kaum kommt die neue Studie, die für Bayern Mehrbelastungen prophezeit, diesmal in Höhe von einer Milliarde Euro – prompt wird Stoiber wieder zum Gesundheits-Shrek. Völlig unerheblich, dass selbst der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller von einem „seltsamen Gutachten“ spricht. Völlig unerheblich, dass nur noch jeder dritte Deutsche glaubt, die Politik könne die Gesundheitsversorgung sicherstellen.
Beim Zahlenverwursten in der Münchner Staatskanzlei geht es um ein größeres Projekt: Bayern. Im Freistaat stehen in einem guten Jahr Kommunalwahlen an und im Herbst 2008 dann die Landtagswahlen. Deren Ergebnisse sind maßgeblich für die Wirkungskraft Bayerns im Bund. 60,7 CSU-Prozente sind die Messlatte aus dem Jahr 2003. Mit einer solchen Legitimation kann man in Berlin schlagkräftig Politik machen – oder eben stänkern. Vor der Presse rutschte ihm zwar erst vor einigen Tagen ohne Not heraus, dass es in seine „letzte Etappe“ geht. Aber zumindest eine Zeit lang will der 65-jährige Stoiber das in München verortete Zentripetalprinzip noch selbst antreiben.
Dazu gehört: Das Image verbessern. Derzeit stellen nur 38 Prozent der Bayern ihrem Landesvater ein zufriedenstellendes Zeugnis aus. Stoibers Mittel der Wahl: Stänkern gegen die bei Bürgern und allen Lobbygruppen ungeliebte Gesundheitsreform. Und auch das Geld soll die Laune im Freistaat heben. Nach Jahren des Sparens hat die Regierung angekündigt, im Wahljahr 2008 wieder Geld zu verteilen – die Geschenkaktion nennt sich „Zukunftsprogramm 2020“.
Parteiintern wird ebenfalls am Image gearbeitet: Die CSU-Vorständlerin Gabriele Pauli, die ein stoiberkritisches Internetforum betreibt, berichtete am Montag von einem „Spitzelanruf“ aus der Staatskanzlei. Angeblich habe ein Beamter Informationen aus ihrem persönlichen Umfeld abgefragt.
Wer indes Stoibers wirklicher Kronprinz wird, ist weiter ungeklärt. Die noch im letzten Jahr gehandelten Minister Beckstein (Innen) und Huber (Wirtschaft) sind bereits mehr als 60 Jahre alt. Derzeit dürfte die Wahl am ehesten auf CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann fallen. Aber unter seiner Führung hatte sich die Fraktion bei den Ladenöffnungszeiten mit einem Patt von 51 zu 51 Stimmen selbst blockiert. Hernach gestand Herrmann ein, dass er eher ein „Moderator“ sei. Für einen Regierungschef ist das zu wenig. Und so wird Stoiber wohl noch einige Zeit am Rad drehen und Richtung Berlin stänkern. MAX HÄGLER