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Archiv-Artikel

Wie Joseph und Maria vom Boden essen

Weihnachts-Varianten (6): Sie streuen Stroh in die Wohnung und lassen Eichenzweige weihen: Die serbisch-orthodoxen Christen, die ihren Heiligabend am 6. Januar feiern, gedenken der Armut zu Christi Zeiten. Wie Desanka Diknic, die seit 30 Jahren in Hamburg lebt

Was wir am Heiligen Abend machen? Da streuen wir Stroh in die ganze Wohnung. Naja, vielleicht nicht immer in die ganze Wohnung. Manchmal streuen wir es auch nur unter einen Tisch – je nachdem, wie viel wir hinterher wieder wegfegen wollen. Das ist heute natürlich etwas anderes als früher, in den einfachen Häusern auf den serbischen Dörfern. Da war es angenehm, ein bisschen Stroh auf dem Holzboden zu haben. Heute lebt man ja ein bisschen komfortabler ...

Ein weiteres wichtiges Requisit ist natürlich der Eichenbaum, dessen Holz das Feuer gespeist hat, mit dem sich das Jesuskind damals im Stall in Bethlehem gewärmt hat. In dem serbischen Dorf, aus dem ich stamme, bereiten wir vor Heiligabend – traditionell am 6. Januar – kleine Eichenzweige und ein bisschen Stroh vor. Das alles lassen wir in der Kirche vom Priester weihen und tragen es dann vorsichtig nach Hause.

Warum die Eiche? Weil das der Baum ist, der in der Gegend, in der Jesus geboren wurde, eben wuchs. Da waren doch keine Tannen! Nach diesem Kirchgang also beten wir zuhause ein bisschen; danach gibt es Abendessen. Wobei wir am Heiligen Abend kein Fleisch und keine Milchprodukte essen, sondern nur Fisch und pflanzliche Lebensmittel. Denn der Heiligabend fällt ja in die sechswöchige Fastenzeit. Dieses Jahr hat die am 28. November begonnen. Was das Abendessen betrifft, gibt es allerdings noch ein besonderes Ritual am Heiligabend: Wir nehmen es nämlich auf dem Boden sitzend ein – natürlich mit Geschirr und so weiter. Außer den Alten, die nicht mehr so beweglich sind. Aber den Kindern und Jugendlichen macht es natürlich Spaß, auf dem Boden zu essen. Warum wir das machen? Na, wir wollen uns damit in die Zeit Jesu versetzen, in der es ja auch keine Tische und Stühle gab. Wir wollen an jene Zeiten erinnern, in denen die Menschen wenig hatten und die Möglichkeiten begrenzt waren. Zuerst essen und trinken wir also zusammen, danach werden Lieder gesungen. Ganz normale Weihnachtslieder. Für Geschenke sind wir allerdings weniger zu haben. Das ist ein Phänomen der modernen Zeit. Ein Luxusphänomen. Es ist nicht Teil der Tradition und auch nicht verankert im christlichen Gedankengut. Wobei das mit den Geschenken natürlich jede Familie anders hält. Unsere Familie legt keinen Wert darauf, aber wenn andere das praktizieren wollen, ist das natürlich deren Sache.

Die russisch-orthodoxen Christen machen übrigens einiges anders als wir serbisch-orthodoxen. Sie haben zum Beispiel als Weihnachtsbaum die Tanne angenommen. Wobei die Tanne keine Bedeutung hat, aber ihr Immergrün lässt sich natürlich leicht als Zeichen der Hoffnung deuten. Die Tanne selbst ist ja gar kein christliches Symbol, und die Tradition ist auch noch nicht sehr alt. Was uns Serben betrifft, haben wir in der Kirche eine geschmückte Eiche stehen. Und in meiner Jugend, auf den serbischen Dörfern, haben wir ein Feuerchen aus Eichenzweigen entfacht und daran Spießbraten gemacht. Heute geht das natürlich nicht mehr so.

Nun ja, den restlichen Abend – nach der Mahlzeit – verbringen wir mit netten Gesprächen, mit Erinnerungen an die schon verstorbenen Verwandten. Wir erzählen uns Geschichten und Märchen. Auch der Kirchbesuch ist natürlich sehr wichtig. Am Heiligabend weniger, aber am ersten Weihnachtsfeiertag gehen wir morgens – um sechs Uhr oder noch früher – zur Kirche. Um zehn Uhr gehen wir nochmal, und am Nachmittag wird mit Freunden und Bekannten getanzt und gesungen. Damals, als ichnoch auf dem Dorf gewohnt habe, haben wir drei Tage lang getanzt und gesungen. Ja, wir haben wirklich im Schnee getanzt. Am 7. und 8. Januar.

Am 24. Dezember dagegen – da machen wir nichts Besonderes. Das ist für uns ein Tag wie alle anderen. Wir nehmen uns nichts Spezielles vor. Aber wir respektieren natürlich, dass dieser Tag von den anderen Christen gefeiert wird. Und die Feste der anderen soll man nicht stören, da nehmen wir natürlich Rücksicht. Und was die Kinder betrifft, die natürlich sehen, dass die anderen am 24. Dezember beschenkt werden – nun ja, wir versuchen für den anderen Feiertag, für unser orthodoxes Weihnachten zu werben. Aber wir übernehmen nicht den Feiertag der anderen. Und beide Tage zu feiern – den 24. Dezember und den 6. Januar – ist in meinen Augen auch falsch: entweder ist Jesus am 24. Dezember geboren oder am 7. Januar. Zweimal ist er nicht geboren! Wobei es in Ehen, in denen nur ein Partner orthodoxer Christ ist, natürlich Kompromisse geben kann. Das mag jeder halten, wie er will. Aber die Regel ist es nicht. Ich selbst bin an den Feiertagen ziemlich oft in der Kirche. Denn ich bin im Kirchenvorstand. Und wenn die anderen Leute feiern, habe ich ziemlich viel zu tun. Protokoll: Petra Schellen