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Archiv-Artikel

Putin zückt die Gaspistole

ENERGIE Russland hat der Ukraine den Gashahn zugedreht. In Europa drohen trotzdem vorerst keine Ausfälle

„Wir brauchen das Kapital!“

■ Geld her: Mit Waffengewalt haben prorussische Separatisten in der Ostukraine die Filiale der Zentralbank in Donezk unter ihre Kontrolle gebracht. Die Aufständischen wollten damit jeglichen Geldfluss nach Kiew unterbinden, sagte Separatistenführer Andrej Purgin am Montag. „Wir brauchen das Kapital hier“, betonte er.

■ Bankangestellte raus: Die Besetzung sei seit über einem Monat vorbereitet worden, sagte ein Kämpfer in Tarnuniform. Vor dem Haupteingang standen fünf bewaffnete Separatisten, während Angestellte der Bank das Haus verließen. (dpa/afp)

VON ERIC BONSE UND INGO ARZT

BRÜSSEL/BERLIN taz | Bekanntlich herrscht in Europa gerade kein kalter Winter. EU-Energiekommissar Günther Oettinger fühlte sich trotzdem bemüßigt, am Montag in Brüssel auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, zu ernst scheint die Lage: Je nachdem wie sich die Ukraine verhalte, „hätten wir bei einem kalten Winter ein Problem“, sagte er.

Grund der Sorge: Was seit Anfang Juni befürchtet wurde, ist nun eingetroffen: Russland hat der Ukraine den Gashahn zugedreht. Künftig gebe es Lieferungen nur noch gegen Vorkasse, teilte der russische Öl- und Gasmulti Gazprom mit, de facto ein Konzern unter der Kontrolle des Kreml. Rund ein Drittel des Erdgases der EU kommt aus Russland, und davon fließt die Hälfte durch Pipelines, die durch die Ukraine führen. Das Land wiederum ist eigentlich verpflichtet, den Rohstoff in die EU immer durchzuleiten.

Doch als Russland im Januar 2009 kein Gas in die Ukraine mehr lieferte, wohl aber die für Europa bestimmten Mengen, zweigte sich Kiew einfach einen Teil ab – in Südosteuropa saßen die Menschen in kalten Wohnungen. Dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge sind die 51 deutschen Gasspeicher zu fast drei Viertel voll, was im Sommer für drei Monate reiche. Deutschland deckt mehr als ein Drittel seines Gasbedarfs mit russischen Lieferungen.

2009 wie heute ging es vor allem um den Preis des Erdgases. Die Ukraine schuldet Russland 1,44 Milliarden Euro für vergangene Gaslieferungen, Gazprom spricht gar von 3,29 Milliarden Euro. Lange Zeit erhielt die Ukraine verbilligtes Erdgas, jetzt will Moskau allerdings mehr Geld sehen. Kiew wollte seine Schulden nur zahlen, wenn Russland dem hoch verschuldeten Nachbarn auch künftig beim Preis entgegenkommt.

Die EU hatte in dem Streit vermittelt, ist jedoch vorerst gescheitert. Oettinger gab sich dennoch zuversichtlich, dass er doch noch einen Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine finden könne. Er werde nach einer Sondierungsphase erneut zu trilateralen Gesprächen einladen: „Keine Einigung hilft niemandem.“

Die EU-Kommission hatte nach eigenen Angaben vorgeschlagen, dass die Ukraine am Montag eine Milliarde US-Dollar an Russland zahlt. Die übrigen offenen Rechnungen hätten bis Ende des Jahres in sechs Raten ausgeglichen werden sollen, Zahlungen für zukünftige Lieferungen hätten wie vertraglich vereinbart geleistet werden müssen. Im Winter hätte das Land laut Vorschlag 385 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter zahlen müssen, im Sommer 300 US-Dollar „oder ein paar Dollar mehr“. Dies habe Moskau abgelehnt, schrieb die EU-Kommission. „Die russische Seite bestand auf der sofortigen Zahlung von 1,9 Milliarden US-Dollar und einem Gesamtpreis von 385 US-Dollar.“ Zum Vergleich: Die Großhandelspreise für Erdgas liegen in Europa je nach der Jahreszeit bei rund 330 bis 540 Dollar pro 1.000 Kubikmeter.

Je nachdem wie sich die Ukraine verhalte, „hätten wir bei einem kalten Winter ein Problem“

EU-ENERGIEKOMMISSAR GÜNTHER OETTINGER

Die EU-Kommission ist in einer verzwickten Lage: Einerseits stützt Brüssel die Ukraine mit Milliardenhilfen. Andererseits sind viele EU-Länder von dem Gas abhängig, das durch die Ukraine aus Russland gen Westen fließt.

Sollte die Regierung in Kiew Gas für eigene Zwecke abzwacken, könnte dies zu Engpässen führen. Allerdings hat die EU seitdem ein Frühwarnsystem eingerichtet. Außerdem wurden die Speicher verbessert und einige Pipelines so umgerüstet, dass das Gas in beide Richtungen fließen kann. Bei einer Umkehr könnte nun sogar Gas aus der Slowakei zurück in die Ukraine strömen.

Allerdings hat sich der russische Gaskonzern Gazprom gegen diese Möglichkeit gewandt und mit Sanktionen gedroht. Auch in dieser Streitfrage hielt sich die EU-Kommission bedeckt. In welche Richtung das Gas fließe, sei eine Entscheidung der privaten Gasversorger. Die EU habe damit nichts zu tun, heißt es in Brüssel. Außerdem gebe es keinen Zeitdruck, da die Gasspeicher gut gefüllt seien. Erst im Winter könnte es eng werden. „Deshalb halten wir es für wichtig, eine Lösung zu finden“, betonte die Sprecherin von Energiekommissar Oettinger.