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Archiv-Artikel

BITTE ERMUTIGEN SIE DIESES VERHALTEN NICHT Spenden? Sparen!

Trends und Demut

JULIA GROSSE

Neulich wurde vermeldet, dass die Deutschen seit der Wiedervereinigung nicht mehr so heftig und angsterfüllt gespart haben wie im vergangenen Jahr. Dabei hat sich die deutsche Wirtschaft längst wunderbar erholt. Was sollen erst die Briten sagen? Sie erleben gerade eine finanzielle Kahlrasur, die noch gründlicher ausfallen wird als unter Thatcher in den 80er Jahren. Die Umsatzsteuer ging hoch, die Studiengebühr auch, die Jobs gehen runter, die öffentlichen Gelder für diverseste Institutionen erst recht. Im Grunde eine pure Mischung für kollektive Angstzustände. Nicht zwangsläufig für die Briten! Sie ließen in der Weihnachtszeit lieber die Onlineshoppingumsätze in neue Rekorddimensionen krachen und tauchen in diesem Moment durch den tosenden Superschlussverkauf. Theodor Fontanes „Ameise und Grille“ reloaded.

Ein Leben knietief im Dispo treibt einem Deutschen vielleicht in Sekunden den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Für einen britischen Privathaushalt gehört eine durchschnittliche, federleichte 57.706-Pfund-Verschuldung ähnlich zum Alltag wie der Neubau von Atomkraftwerken und „X Factor“. Um sie zum Sparen zu bringen, muss man ihnen schon eine interessante, neue Regel bieten, und ich habe eine dieser neuen, subtilen Spar-Aufforderungen in der Londoner U-Bahn entdeckt. „Ladies und Gentlemen!“, heißt es da streng über die Lautsprecheranlage. „Es verkehren Bettler in unseren Bahnen! Bitte ermutigen Sie ihr Verhalten nicht, indem Sie diese unterstützen. Vielen Dank!“

Was für eine besinnliche, aufmunternde Begrüßung ins neue Jahr. Von der Konsequenz des Ausschlusses her ist diese neue Regelung nicht nur besonders brutal, immerhin hier wird das offizielle Verbot ausgesprochen, Menschen, die ökonomisch nichts zur Gesellschaft beitragen, in Zukunft noch etwas zu geben.

Es kann auch als subtiles Spiel mit den letzten Groschen in britischen Portemonnaies verstanden werden. Die Zeiten seien für alle hart, und die Londoner sollten ihr wertvolles Klimpergeld nicht irgendwelchen Outlaws spenden, sondern gefälligst bei sich behalten und an relevanterer Stelle investieren: Mit einem Schokoriegel oder dem Daily Mirror vom U-Bahn-Shop kurbelt man wenigstens die Wirtschaft an.

■ Julia Grosse ist taz-Kulturreporterin in London