: Das Herz von Hardenberg
HELDEN Die Ausstellung „Helden erinnern“ in Neuhardenberg spiegelt deutsche Nationalgeschichte raffiniert im Blick auf diesen Ort. Und führt zu der Frage: Brauchen wir in der digitalen Demokratie eigentlich noch Helden?
VON STEFAN REINECKE
Das Heldenhafte ist seit 1945 in Deutschland mit maßlosen Verbrechen, Tod, Untergang verklammert wie sonst nirgends. Der Begriff deutsche Helden taugt nur für rechtsextreme Sekten oder als Titel für Satireprogramme. Aber gibt es kein verschwiegenes Bedürfnis nach Figuren, die für uns sprechen, die unsere narzisstischen Wünsche nach Großartigem verkörpern? Als deutsche Helden galten die Fußballer, die 1954 in Bern zivile Revanche für den verlorenen Krieg nahmen. Und 1966 in Wembley beim einstigen Kriegsgegner um ihren Triumph betrogen wurden.
Ansonsten ist die Bühne ziemlich leer. Deutsch und Held passt in kaum in einen Satz. Auch bei Gesten, in denen sich das Heroische, die übermenschliche Anstrengung zeigt, sieht es nicht gut aus. Die Boris-Becker-Faust war unfreiwillig parodistisch. Sind Nationalhelden angesichts von Globalisierung und Digitalisierung nicht sowieso von vorgestern?
„Helden erinnern“ lautet der Titel einer Ausstellung im östlichen Brandenburg, 70 Kilometer von Berlin. Neuhardenberg ist ein kleiner, geschichtsträchtiger, man kann sagen deutscher Ort. Und geeignet, um die Verwandlungen des Heldischen zu reflektieren. Denn die Metamorphosen der Heldeninszenierungen sind in der Geschichte dieses Ortes der letzten 250 Jahre zu entziffern.
Arbeitsplatz Schlachtfeld
Der vorbürgerliche Held war entweder Militär oder Aristokrat, meistens beides. Sein Arbeitsplatz war das Schlachtfeld – und dort rettete der preußische Oberstleutnant Joachim Bernhard von Prittwitz seinem König, Friedrich II., 1759 das Leben. Für diese spektakuläre Tat wurde Prittwitz mit einem Landgut beschenkt – das heutige Neuhardenberg. Im Schlosspark ließ Prittwitz sich in einer fünf Meter hohen Marmorstatue als Kriegsgott Mars verewigen. Das feudale Heroenbild brauchte die Antike nicht nur als ästhetische Referenz: Held war, wer für den König tötete oder den König rettete. Diese Statue ist gewissermaßen doppelt präsent: Ein Foto ist Exponat der Ausstellung, die reale Statue ist im Schlosspark zu besichtigen.
1814 wechselt das Gut den Besitzer – und das Heroische die Gestalt. Karl August von Hardenberg bekam das Gut von Friedrich Wilhelm III. geschenkt, als Anerkennung für Verdienste ums preußische Staatswohl. Hardenberg, den man sich als ein Art Mischung aus Wolfgang Schäuble und Willy Brandt vorstellen kann, arbeitete nicht mit der Flinte, sondern mit der Feder. Er verfasste, entschlossener liberaler Reformer, das in der Ausstellung zu besichtigende „Edikt die bürgerlichen Verhältnisse der Juden betreffend“, das die rechtliche Gleichberechtigung der Juden in Preußen fixierte.
Karl August von Hardenberg symbolisierte die Zivilisierung des Heldischen im 19. Jahrhundert. Der Held musste kein Krieger mehr sein. Er musste nicht mehr das Tötungsverbot verletzen und das militärisch gedrillte Barbarische verkörpern. Der Held wurde zum Bürger, zum Arzt, Politiker, Dichter (fast nie wurde eine Bürgerin zur Heldin). Als Inbegriff der republikanischen Heldenverehrung gilt das Pantheon in Paris, das in Neuhardenberg als Modell ausgestellt ist. Dieser säkulare Grabtempel für Nationalhelden von Voltaire bis André Malraux zeigt, dass auch die Republik die Verknüpfung von Heroen und Totenkult braucht. So radikal die Brüche des Heldenbegriffs in den letzten 200 Jahren scheinen – in der Formensprache gibt es Kontinuitätslinien, die von der Antike bis ins Heute ragen.
Das 19. Jahrhundert war süchtig nach Symbolen
Wie süchtig der fragile deutsche Nationalstaat im 19. Jahrhundert nach Symbolen und Identifikationsfiguren war, deuten Vitrinen mit einer Haarlocke von Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven an. Ob die echt sind, ist nicht so wichtig. Sie wurden dafür gehalten: Es waren Reliquien der Genies, eine Spielart des Heldischen, die die Größe der Kulturnation Deutschland bezeugen sollten.
1944 trafen sich die Attentäter des 20. Juli des öfteren im Schloss Neuhardenberg. Carl-Hans Graf von Hardenberg zählte zu der Stauffenberg-Gruppe und überlebte die Rache der Gestapo nur per Zufall. Von Hardenberg war ein preußischer Konservativer, der sein Leben aufs Spiel setzte, um Hitler zu töten.
Wahrscheinlich sind Figuren wie er die einzigen deutschen Helden, die in der Bundesrepublik Geltung haben. Hardenberg notierte später, die Handschrift ist ausgestellt, dass den Deutschen im NS-Staat die „Civilcourage“ fehlte, – um sogleich, ganz Konservativer, die Jugend zum Gehorsam jedem neuen Staate gegenüber zu ermahnen.
Wahrscheinlich ist nach Hitler dieses Lob der Zivilcourage der einzig unbeschädigte Kern des Heldenhaften. So lässt diese Ausstellung lässig und ohne pädagogische Stützräder die nationale Textur unseres Begriffs vom Heldischen hervortreten. „Helden erinnern“, von Thomas Macho und Hans von Trotha effektvoll in Szene gesetzt, ist eine historische Tiefenbohrung, die eine beglückende Dialektik von Lokal- und Nationalgeschichte, von Besonderem und Allgemeinem entfaltet.
Raffiniert ist der Startraum der Ausstellung. Man schaut auf ein projiziertes Foto eines Herzens, offenbar mit Formalin präpariert. Das Original befindet sich in der von Karl Friedrich Schinkel entworfenen eleganten Kirche ein paar Meter weiter. Es ist auf der Rückseite des Altars versteckt, verborgen hinter einer Tafel. Wenn man das Türchen dahinter öffnet, sieht man in einem mit rotem Samt ausgeschlagenen Kasten einen aufgebahrten graubraunen Herzmuskel. Dieses Herz gehörte Karl August von Hardenberg, seit dessen Tod 1822 befindet es sich in diesem Altar. Es erinnert an die religiöse Reliquienverehrung und die enge Verzahnung von Totenkult und Heldenverehrung.
Der Heros und das Heroin
Andere Exponate sind hingegen eher originell, etwa ein kleines, fast hundert Jahre altes Medizinfläschchen von Bayer. Auf dem Etikett steht „Heroin“. Das war bis 1931 ein Verkaufsschlager des Chemiekonzerns, ehe man unwillig die Produktion des beliebten Mittels einstellte, weil es abhängig machte. In der Ausstellung ist es wegen seines von Heros abgeleiteten Namen zu bestaunen, was eher ein Kalauer ist.
Und heute? Bewegen wir uns nicht in einem völlig anderen Kosmos? In einem gesonderten Raum wird die digitale Gegenwart recht verspielt reflektiert. Dort kann man mit einem Tablet virtuelle Selfies mit „Helden“ von 2014 herstellen. 50 Gesichter stehen zur Wahl. Man kann sich mit Angela Merkel oder Batman, Helene Fischer oder Eward Snowden, Conchita Wurst oder der Queen, Karl Lagerfeld oder Gorbatschow „fotografieren“. Das ist nicht schwerblütig kulturkritisch gemeint und, trotz aller Skepsis gegenüber solchen allzu verbreiteten Mit-mach-Inszenierungen, eine inspirierende Idee. Diese Installation illustriert, dass das Heldische in der digitalen Demokratie flüchtig geworden ist, es taugt nicht für Denkmäler oder Statuen. Die Grenzen zwischen Held, Star und Promi sind verschwommen.
Selfie mit Promi
Im Popkosmos zählt Prominenz. Ob man wie Gorbatschow Weltgeschichte oder wie Karl Lagerfeld Mode macht, – es macht keinen fundamentalen Unterschied. Im Modus der Prominenz ist alles mit allem kompatibel. Das Selfie ist die passende, verspielte, unernste Form, in der sich das Publikum narzisstisch mit den Stars verbindet. Im Unverbindlichen des Pop verflüssigen sich Ausgrenzungen, die kaum überwindbar schienen. So ist in der digitalen Selfie-Kultur das Heldische vom Machismo gelöst, mit dem es Jahrhunderte fest verschweißt war.
Mag sein, dass am Rand dieser Aufmerksamkeitsökonomie ein Bedürfnis nach Unverstelltem wächst, nach mehr Ernst, weniger Spiel. Der etwas graue Alternativentwurf zum Promi als Held ist der Held des Alltags, der sich engagiert. Die AlltagsheldInnen sind verknüpft mit jenem Ethos der Zivilcourage, das Carl-Hans Graf von Hardenberg 1945 als Defizit der Deutschen beklagte.
■ „Helden erinnern. 200 Jahre Schloss Neuhardenberg“; Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen 11–19 Uhr. Bis 17. August Eintritt: 8/4.50 Euro