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Archiv-Artikel

Die Grenzen der Soziobiologie

Weil sie vor 30 Jahren einen politischen Wirbelsturm verursachten, mussten Soziobiologen ihre Thesen vom Diktat der Gene verfeinern oder gar revidieren. Ihr ursprüngliches Ziel, die Biologisierung der Soziologie, haben sie bisher noch nicht erreicht

Auch unter etlichen Biologenist die Vorstellung von der Allgewalt der Gene keineswegs akzeptiert

VON KATHRIN BURGER

Es war ein akademischer und gesellschaftlicher Eklat erster Güte, als im Jahre 1975 der US-amerikanische Ameisenforscher Edward O. Wilson ein Buch mit dem Titel „Sociobiology“ publizierte. Menschliches Verhalten war darin vollständig dem Mantra der Evolution unterworfen, Sozialordnungen sah Wilson allein durch Gene festgelegt. Er handelte sich damit nicht nur Schelte von Kollegen, sondern auch tätliche Angriffe ein – etwa einen Eimer Eiswasser, den ein wütender Protestler über seinem Kopf ausgoss. Andere bezeichneten ihn dagegen ehrfürchtig als den neuen Darwin. Doch die Wogen glätteten sich erst mal nicht.

Ein Jahr später erschien der populärwissenschaftliche Bestseller „Das egoistische Gen“, verfasst von Wilsons Mitstreiter Richard Dawkins, Forscher in Oxford. Der Neodarwinismus war geboren. Eine Evolutionstheorie, die die Soziologie komplett vereinnahmen wollte. Bis in die 1990er-Jahre hinein lieferten sich die Kontrahenten erbitterte Gefechte.

Nun, seit einigen Jahren wird in den Forscherstuben eher resümiert statt debattiert. Weil die Soziobiologen ein politisches Erdbeben verursachten, mussten sie ihre Theorie verfeinern und Kernpunkte ihrer Aussagen zurücknehmen, so Dirk Richter, Wissenschaftler an der Universität Münster. Die Biologisierung der Soziologie sei deshalb gescheitert.

Wilson & Co. sahen nicht Tier und Pflanze als Dreh- und Angelpunkt des Lebens an, sondern die Gene, die „wie erfolgreiche Chicagoer Gangster in einer Welt intensiven Existenzkampfes überlebt haben“. So sollten Menschen als egoistische Individuen danach trachten, sich ohne Rücksicht auf Verluste zu reproduzieren. Verhalten, das der Gruppe dient, war damit ausgeschlossen.

Als nicht belegbare Kopfgeburten wurden diese Thesen von Wissenschaftlern kritisiert. Schließlich gibt es genügend Beweise in der Tierwelt, dass selbstloses Verhalten existiert. Die Biologen kontern: Hilfe gelte Verwandten, von denen man wiederum selber Hilfe erwarten könne, oder Menschen helfen, um ihre soziale Reputation zu steigern.

Die politische Linke störte sich dagegen vor allem am Determinismus, dem die Soziobiologen den Boden bereiteten. Rassismus würde so als Natur des Menschen angesehen und nicht als verfehlte Gesellschaftspolitik. Auch das traditionelle Rollenverhältnis von Mann und Frau sei demnach angeboren und unveränderbar. Für die damals erstarkende Frauenbewegung ein Affront. Die religiöse Rechte focht die Theorie Wilsons dagegen an, weil sie von einem Schöpfer ausgeht und die Evolution pauschal abstreitet. Kreationismus wird dieses Weltbild genannt.

Wilson vertritt heute die These, dass Schalter an Genen (epigenetische Regeln) zwar definieren, welche Art von Kultur möglich ist, aber nicht in welcher Ausprägung. Mit anderen Worten: Die Epigenetik legt beispielsweise fest, dass der Mensch soziale Beziehungen aufbaut, aber eben nicht, ob er das in Form von Religion, Kapitalismus oder in einem sozialen Gemeinwesen tut.

Andererseits haben Soziologen angefangen, sich konstruktiv mit der Soziobiologie auseinanderzusetzen. Vorher lehnten sie das rundweg ab. Mit der Folge: „In vielen Bereichen ist die Evolutionstheorie heute ein Mehrheitsparadigma, zum Beispiel in der Psychologie“, gibt Richter zu.

Aber die Evolutionstheorie sei eben an ihre Grenzen gestoßen. Vor allem in der Makrosoziologie versage sie. Kriege könnten beispielsweise nicht aus der Natur des Menschen heraus erklärt werden. Eckart Voland, Buchautor und Philosoph an der Universität Gießen präzisiert: „Stammesfehden können wir soziobiologisch recht gut erklären. Aber beim Irakkrieg wird es komplexer, weil hier viele Aspekte der menschlichen Natur eine Rolle spielen.“

Auch beim Paarungsverhalten gibt es aktuelle Entwicklungen, bei denen Evolutionstheoretiker passen müssen: Empirische Daten zeigen etwa, dass Männer zwar immer noch häufig attraktive, junge Frauen (weil gebährfähig) und Frauen Männer mit hohem Sozialstatus (garantiert Fürsorge für Nachwuchs) wählen, dieser Unterschied sich heute aber tendenziell angleicht: Männer wollen heute auch Frauen mit hohem Sozialstatus, was evolutionsbiologisch gesehen keinen Sinn macht.

Doch nicht nur Soziologen, Politiker und Religiöse haben sich gegen die Thesen der Soziobiologie verwehrt. Auch unter etlichen Biologen ist die Vorstellung von der Allgewalt der Gene keineswegs akzeptiert. „Diese prägt zu sehr die moderne Ergänzung der in ihren Grundzügen unbestrittenen Darwin’schen Evolutionstheorie,“ meint etwa Josef Reichholf, Vogelkundler an der LMU München in seinem Buch „Der schöpferische Impuls“.

Trotzdem existiert die Soziobiologie weiter. „Und zwar mit großen wissenschaftlichen Fortschritten“, so Eckart Voland. Moderne Soziobiologen nennen sich heute nur anders: Verhaltensökologen oder Evolutionspsychologen.

Voland hält die These vom Scheitern der Soziobiologie für falsch. „Nur weil wir heute noch nicht befriedigend erklären oder nachweisen können, welche Rolle die Biologie etwa in der Kunst oder der Religion spielt, heißt das nicht, dass diesen Phänomenen keine evolutionstheoretischen Prozesse zugrunde liegen.“

Der über 70-jährige Wilson hat indes nicht nur seine Texte kritisch überarbeitet. Er versucht mit seinem jüngsten Buch „Die Schöpfung“ jetzt die Kreationisten als Bündnispartner im Kampf für Umweltschutz und Artenvielfalt zu gewinnen. In den letzten dreißig Jahren hat er wohl gelernt, dass die Biologie auch eine politische Dimension haben kann.