: Ein schalkhafter Tanzmeister
HOMMAGE Klaus Staeck ist der Inbegriff des politisch engagierten Künstlers, Sigmar Polke hat sich Zeit seines Lebens der Eindeutigkeit verweigert. Trotzdem waren die beiden gute Freunde. Staeck hat nun eine Polke-Schau in der Berliner Akademie der Künste ausgerichtet
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Haltung und Ironie sind nicht einfach unter einen Hut zu bringen. Wo die Haltung Position bezieht, ethisch oder politisch urteilt, da spitzt die Ironie die Lippen und fragt: Ehrenvoll, deine Haltung, aber folgt auch etwas daraus? Haltung und Ironie ins Spiel zu bringen, darin war Sigmar Polke Meister.
Das zeigt sich jetzt besonders schön in den Grafiken, die er seit Anfang der siebziger Jahre bei Klaus Staeck verlegte. Staeck, heute Präsident der Akademie der Künste in Berlin, ist ein dezidiert politischer Künstler, immer im Einsatz für die Sozialdemokratie. Solche Eindeutigkeit war Polkes Sache nicht. Aber, wie man jetzt in der Hommage beobachten kann, die Staeck dem im letzten Sommer verstorbenen Künstler eingerichtet hat, sehr wohl bereit, im politisierenden Kontext der Staeck-Editionen eine solche Lesbarkeit anzubieten.
Im Jahr 1972 war Wahlkampf in der Bundesrepublik, der CDU-Oppositionsführer Rainer Barzel hatte ein Schattenkabinett aufgestellt. Sigmar Polke fotografierte, wohl mit klammheimlicher Freude, CDU-Wahlplakate, die schon deutlich von Meinungen gekennzeichnet waren: Franz Joseph Strauß mit Augenklappe, Barzel mit Hitlerschnäuzer, die ganze CDU-Elite mit ausgekratzten Augen. Für die Edition „Bundestagswahl – Bizarre“ stellte er je vier Fotos davon in grau verwaschenen Abzügen zusammen – ein Sampler von öffentlicher Meinung, die er mit popkulturellen Zitaten rahmte, einem Cover etwa von Frank Zappa. Auch der Titelzusatz „Bizarre“ stammt von dort.
Eine zweite Edition aus demselben Jahr, „Kölner Bettler“, beruhte ebenfalls auf Fotografien Polkes. Zusammen mit der Wahlkampfserie sieht das nach einem kräftigen Statement aus; doch im selben Raum ist auch eine Künstlerzeitung ausgestellt, die Polke zusammen mit Achim Duchow, Astrid Heibach und Katharina Steffen 1975 als Beitrag zur Biennale in São Paulo herausgab. Unter dem Titel „Day by Day … They Take Some Brain Away“ (nach einem Song von David Bowie) glaubt man, einer wilden Collage von Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll zu begegnen. Das Bettlermotiv taucht wieder auf, jetzt mit einer Zielscheibe und einem Wildschein überdruckt. Aus der Geste der Solidarität mit denen ganz unten ist eine Spielfigur im Karneval der Bedeutungen geworden.
Dennoch zeigt sich Klaus Staeck in seiner Hommage an Polke als dessen treuer Gefolgsmann, ja, als ein hartnäckig Hoffender, der hunderte von Faxe an Polke sandte, bis mal eine Antwort kam. „Wenn er gelegentlich mal zurückrief, war die Freude groß; kam es dann gar zu einem Treffen, dauerte es meist viele Stunden und wurde immer zu einem kleinen Fest“, erzählt Staeck. Fotos zeigen Polke bei einer spontanen Performance in Staecks Atelier, Flöte blasend, mit einem Kunstobjekt spielend, man denkt an die Vasenekstasen von Anna und Bernhard Blume. In einer anderen Fotoserie lässt sich Polke vom Ansturm der zu signierenden Blätter vom Stuhl kippen und von den Blättern überfluten. Polke habe, so sagt Staeck, wenn er sich beim Signieren zu langweilen begann, auch mal eben den Namen geändert.
Quellenkunde der Motive
Solche Details verleihen der Ausstellung die schöne Intimität einer Künstlerfreundschaft ebenso wie die vielen Einladungskarten in den Vitrinen, die von einem anscheinend stets gut aufgelegten Polke hier und da noch ein wenig überzeichnet wurden. Polke, der Clown; mit diesem Bild tat er sich in der öffentlichen Rezeption leichter, so vermutet der Kunsthistoriker Dietmar Rübel, als mit Polke, dem politischen Künstler. Rübel hat die Ausstellung mit Staeck zusammen gemacht, und auch er liefert eine Hommage: Das ist ein von ihm und anderen Kollegen zusammengestelltes Archiv „Wir Kleinbürger“, das eine kleine Quellenkunde der Motive darstellt, die Polke für die zehnteilige Werkgruppe „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen von 1974 – 1976“ in leuchtend große Gouachen verwandelt hat.
Kataloge aus dem Kölner Rautenstrauch-Jost-Museum, Comics wie Mad, verbotene Underground-Magazine wie ein „Anarchist Cookbook“ oder das Cover eines Buches des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty „Humanismus und Terror“ bilden in einer Vitrine nicht nur eine Vorlagensammlung, sondern werden nachträglich zur aufschlussreichen Skizze eines intellektuellen Milieus, das sich bei Polke in den Siebzigern auf seinem Bauernhof traf. Die Gouachen, geschaffen für einen kaufwilligen Sammler, wimmeln von Insider-Codes. Man erkennt Superman im Supermarkt, schöne Wilde, Menschenmassen, deren Köpfe sich in Rasterpunkte und die Schuppen einer Schlangenhaut auflösen, Demonstrationen, über die goldene Farbe fließt, Bombenbauer und schwebende Jungfrauen. Es ist eine Collage von Konsumlust und Aufbegehren, Unterhaltungswut und Anarchismus, Esoterik und Romantik, kurz, vieler jener Leidenschaften, mit denen der Kleinbürger die Enge seiner Welt bekämpft. Heute könnte man sagen: eine schillernde Vorgeschichte des sogenannten Wutbürgers.
Solche Parallelen zur Gegenwart stecken nicht nur in den Themen Polkes, sondern auch in seiner Fähigkeit, gefundenes Material mit einer Vielfalt von Techniken zu immer neuen Ausdrucksformen zu bringen. Das ist auch visuell wieder ein großes Vergnügen. Man möchte fast von einer schalkhaften Schönheit sprechen, die da, wo sie ihren Reichtum ausbreitet und ihren Sehnsüchten, auch denen nach Kitsch, nachgibt, eine kleine Abmahnung dabei hat. Und sei es ein Mann mit Peitsche, der als „Der Teufel von Berlin“ den Tanzmeister gibt.
■ Sigmar Polke, eine Hommage. Akademie der Künste Berlin, am Pariser Platz, bis 13. März. Katalog erscheint bei Steidl