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Archiv-Artikel

Schöne bunte Klassenlektüre

SCHLAGLOCH VON GEORG SEESSLEN Vermisst ihr sie nicht, die staubfreie Schönheit? Jetzt gibt es nur noch Reality

Georg Seeßlen 

■ ist Publizist und Filmkritiker. Er lebt in Kaufbeuren und hat über 20 Bücher zum Thema Kino geschrieben. Demnächst erscheint von ihm und Markus Metz: „Blöd-Maschinen: Die Fabrikation der Stupidität“ bei Suhrkamp.

Print-Magazine? Das ist das quietschbunte Zeug in den Regalen, das laufend teurer, gleicher und doofer wird und an Käufern verliert. Ganz Print-Deutschland jammert.

Ganz Print-Deutschland? Nein. Ein kleines Dorf im Blätterwald von Gruner & Jahr stemmt sich gegen den Trend, erkämpft Aufmerksamkeit und sogar Auflage in der Welt spätrömischer Dekadenz durch etwas, was in der seltsamen Sprache der „Blattmacher“ wohl „pfiffige Ideen“ heißt.

Ein traumhaft leerer Blick

Die Blattmacher nämlich erkannten, was ein Volk lebensfroh macht und es zusammenhält. Nein, nicht Ideen und Debatten, nicht Informationen und Kritik: Lifestyle und Geschmack sind es, Rückzugsgebiete der öffentlichen Privatheit, sichtbar gemachtes Glück von sozialer Absicherung, eigener Glamourproduktion und kontrollierter Sexyness. Andernorts mag man es den Terror der Intimität nennen. Wir nennen es Brigitte und Schöner Wohnen.

Vor einem Jahr erregte die Redaktion der „Frauenzeitschrift“ Brigitte einiges Interesse durch die Ankündigung, auf den Modestrecken nun nicht mehr professionelle Models, sondern „normale“ Frauen zu verwenden. Es traf sich gut, dass damals gerade wieder über das gesundheitlich fragwürdige Körpermodell der weiblichen Fotoobjekte diskutiert wurde. Es handelte sich offensichtlich um Hungerkünstlerinnen, die auf ihre Kunst so stolz waren, dass sie so blasiert, arrogant und leer in die Kamera schauen konnten, dass es schon wieder eine Kunst war. Ehrlich gesagt war das immer das Einzige, was mich an Modefotografie interessiert hat: Diese kosmisch leere Blasiertheit des Blicks. Das hatte schon fast etwas Erhabenes. Jedenfalls signalisierte es die Existenz einer jenseitigen Glamourwelt, zu der du und ich keinen Zutritt haben, außer eben durch den Erwerb eines Modejournals. Tempi passati.

Freilich folgen die „normalen“ Frauen ebenfalls einem vorgegeben Körpercode und vorgegebenen Rollen. Wenn die alten Fotomodels aussahen wie Darstellerinnen einer Tragödie ohne Inhalt (wir liebten es deshalb, sie im Krimi nebenan ermorden zu lassen), so sehen die neuen „normalen“ Modelle aus wie beim Casting für eine Soap Opera oder etwas in der Art von „Sex & the City“ für die Mittelschicht. Sie sind weniger Teil der Realität als Teil der Reality.

Eine ganz ähnliche Strategie führte zum Wiederaufstreben der lange etwas verzopften Zeitschrift Schöner Wohnen. Früher wurden einem dort Traumwohnungen aufgebaut, in denen die Innenarchitekten an alles gedacht hatten, nur nicht daran, dass sich hier irgendwann echte Menschen würden aufhalten wollen. Wohnen war hier eine Kunst als Gegensatz zum Leben. Und so wie wir wussten, dass ein Model ein weibliches Wesen ist, mit dem man weder über Fußball noch über Ockhams Rasiermesser reden kann, so ergötzten wir uns in Schöner Wohnen an staubfreien Inszenierungen der Gleichung von Geld und Geschmack. (Darum liebten wir es im Krimi nebenan, die schöne Leiche in einer solchen Wohnung zu drapieren.) Tempi passati.

Leben ringt Glamour nieder

Auch in Schöner Wohnen beginnen sich Glamour und Leben zu durchdringen, wenn natürlich auch nicht in dem Maße wie bei Brigitte. Auch hier mischen sich die Genres, aus den Inszenierungen der idealen Wohnungen werden Home Stories, die Dinge werden, wie man so sagt, „personalisiert“. Menschen tun sich wohl immer noch schwer in den innenarchitektonischen Arrangements, aber sie sind nicht vollständig ausgeschlossen. Man geht sogar auch zu echten Wohnungen mit echten Menschen, und die Staubfreiheit ist immer noch garantiert. Und obwohl sich das schöne Wohnen und das echte Leben noch immer nur in der Ikea-Anzeige treffen: Auch hier ist nun ein „großzügiges“ Haus und eine schöne Wohnung nicht mehr jenseitiger Traum (auch Dinge können reichlich blasiert schauen), sondern Objekt des Castings und Coachings.

Die schönen Dinge sind aus den Warenhimmeln gefallen und die Welt des schönen Scheins hat ihre Transzendenz verloren. Glamour und Alltag also haben eine neue Vereinbarung miteinander getroffen. Fort mit dem unerreichbaren Luxus und den schönen Abstraktionen des Designs, her mit den realisierbaren Codes und dem verfügbaren Wissen. Es geht um nicht weniger als um die Konstruktion einer Klassenkultur als Reality.

Ohne Aufstiegsfantasie

Fort mit dem unerreichbaren Luxus, dem abstrakten Schönen, her mit den realisierbaren Codes und den „normalen“ Frauen

Das erinnert einerseits verdächtig an die fünfziger Jahre, in denen sich die Gesellschaften des Westens und ihre neuen Klassen nach dem Krieg über Lebensstil, Konsumartikel und Wohnungseinrichtungen neu ordnen ließen (den Nerv dieses kulturellen Halbjahrhundert-Übersprungs trifft derzeit die Serie „Mad Men“ so perfekt), nur dass das, was damals einer aufstrebenden Schicht entsprach, nun die Panik vor der Selbstauflösung heilen soll. Nach der Finanzkrise (oder vielleicht doch noch mitten drin), die unsere Gesellschaft zu verstehen und kritisch zu bearbeiten sich beharrlich weigert, liegt erneut das Heil in einer manischen, hochkontrollierten und übrigens ökonomisch durchaus gefährlichen Inszenierung des „Privatlebens“. Denn die nur scheinbar erschwinglichen Träume der vernetzten Kleinbürgermagazine tragen den Keim der nächsten Krise schon wieder in sich: Der Rückzug ins Idyll kostet, denn diese „realisierbaren“ Wünsche müssen, anders als die blasierte Abstraktion vordem, jetzt erfüllt werden.

Der verlustgeschüttelte Mittelstand räumt die urbanen Zentren, verzichtet auf den Aufstieg im Bürohochhaus, schwankt politisch zwischen unverbindlichem Liberalismus und Sarrazin’scher Tücke, will nicht mehr gewinnen, nur, bitte, nicht weiter verlieren. Kein Wunder also, dass die Mode so bequem und das schöne Wohnen eine so geschlossene Angelegenheit ist („Mein Stil, mein Zuhause“).

Im Blätterwald von Gruner & Jahr rückt eine bedrohte Klasse enger zusammen. Ihr Zaubertrank besteht aus einer semiotisch-ökonomischen Brühe, die ihre Mitglieder unbesiegbar macht. Solange sie nur nicht das schrumpfende Dorf ihrer kulturellen Reality verlassen.