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Archiv-Artikel

„Die SPD hat doch vieles richtig gemacht“

In Hessen und Nordrhein-Westfalen will die SPD ihr linkes Profil schärfen. Das kann sich lohnen, sagt der Politologe Klaus Schubert: Mit einer Bildungspolitik für alle und einer klassisch sozialdemokratischen Agenda lässt sich punkten

taz: Herr Schubert, nach Andrea Ypsilanti in Hessen setzt nun auch die NRW-SPD mit Hannelore Kraft auf eine Frau. Müssen die Frauen die SPD retten?

Klaus Schubert: Spätestens seit Angela Merkel Kanzlerin ist, ist es normal, dass Frauen auch in der Politik führen. Insofern stellt sich nicht die Frage nach dem Geschlecht. Sondern welche Ideen sie haben, um in Hessen und Nordrhein-Westfalen die SPD aus der Talsohle herauszuführen.

Ypsilanti ist eine Parteilinke, Kraft will den „Markenkern“ soziale Gerechtigkeit besetzen. Kann die Renaissance der SPD in den Ländern über einen Linksruck funktionieren?

Ein gewisser Linksschwenk kommt durchaus den innerparteilichen Sehnsüchten entgegen. Andererseits kann ich einen Linksruck gerade bei Frau Kraft nicht sehen. Sie ist noch gar nicht so lange in der SPD und sicher nicht ein Teil der linken SPD.

Aber wäre es nicht logisch für eine lernende Organisation wie eine Volkspartei, dass die SPD nun nach links rückt? Die Agenda 2010 ist ja eher schlecht angekommen an der Wahlurne.

Innerparteilich ist die Attraktivität der „Neuen Mitte“ vorbei – die wird verbunden mit der Agenda 2010 und Hartz IV. Unter Schröder hat sich die Parteiführung zudem ein gutes Stück von der Mitglieder- und Wählerbasis emanzipiert. Die Folgen kennen wir. Ob daraus aber ein Linksruck folgt, ist eine andere Frage. Ein nicht unbedeutender Teil der SPD steht ja weiterhin hinter den Zielen der Agenda. Das Dilemma ist: Die SPD ist einige Schritte in Richtung Erneuerung gegangen, hat aber den Erneuerungsprozess nicht abschließen können. Was vor uns liegt, ist eine Hybride: die Erneuerer einerseits, denen innerparteilich die falsche Programmatik, verlorene Wahlen und massenhafte Parteiaustritte angelastet werden. Und andererseits die Traditionalisten, die für die neuen Herausforderungen nicht gewappnet und für neue Wählerschichten nicht attraktiv erscheinen.

Bliebe links überhaupt noch Platz für die NRW-SPD – angesichts des „linken“ CDU-Landeschefs Jürgen Rüttgers?

Dass Rüttgers in NRW versucht, sich eine breitere Wählerbasis zu schaffen, ist doch verständlich. Aber schauen Sie auf die Fakten: Womit wird das große Wort „soziale Gerechtigkeit“ gefüllt? Mit um einige Monate verlängertem Bezug von ALG I bei älteren Arbeitnehmern. Die Kosten dafür müssen die jüngeren Arbeitslosen tragen. Und: Zur Durchsetzung dieser „sozialen Gerechtigkeit“ wurde gleichzeitig der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer aufgebrochen. Das ist also bestenfalls symbolische Politik.

Gegen die tut sich die SPD aber offensichtlich schwer.

Möglicherweise hat der Aufschrei der SPD – „Sozial, das sind ja eigentlich wir!“ – Rüttgers Vorstoß erst interessant gemacht. Für die NRW-SPD wäre genügend Platz, um sich wieder entsprechend zu positionieren. Wenn sie denn mal aus den Puschen käme, wie man hierzulande sagt.

Muss die SPD nicht zunächst aus den Fehlern von 39 Regierungsjahren in NRW lernen?

Die SPD hat in der Vergangenheit auch vieles richtig gemacht: Schauen Sie auf die vielen Veränderungen in diesem schwierigen Land mit den vielen Altlasten. Schauen Sie auf den Strukturwandel, nicht nur im Ruhrgebiet. Sie hat sich gleichzeitig aber eben auch immer weiter von ihrer Klientel entfernt. Hier ist das Stichwort „Machtversessenheit“ angebracht: Machtversessenheit bis hinunter in die Ortsvereine. Der Machtverlust 2005 muss aber auch im zeitlichen Kontext gesehen werden. Durch die Politik der Regierung Schröder wurden ja einige SPD-Landesregierungen gekippt.

Aber wie kann sich eine abgewählte Regierungspartei wie die SPD inhaltlich erneuern?

In der Bildungspolitik könnte die SPD einen Gegenentwurf entwickeln: Angefangen beim Ausbau von Kitas über ein modernes Konzept für Ganztagsschulen bis hin zur Förderung der Qualität der Lehre für die Masse der Studierenden und die Förderung der Spitzenforschung in NRW – anknüpfen könnte sie dabei an den Ausbau der Hochschulen im NRW der 60er- und 70er-Jahre. Dazu muss ein klassisches sozialdemokratisches Profil kommen: vom Mindestlohn bis zur Vermögensbeteiligung.

Braucht die SPD stärkere Landesverbände, um wieder den Kanzler zu stellen?

Ja, das ist ein Strukturproblem der SPD. Der nächste Kanzlerkandidat wird wohl Kurt Beck sein, ein Landesministerpräsident. Aber ansonsten fehlen der SPD langsam die Köpfe, also ministrable Kandidaten. Ich fürchte, dass die großen, aktiven Landesverbände mit ihren Untergliederungen und engagierten Ortsvereinen bald der Vergangenheit angehören. Beide großen Parteien haben seit 1990 kontinuierlich an Mitgliedern verloren. Meiner Einschätzung nach ist das unumkehrbar. Es geht ja nicht darum, sich etwas zu wünschen – die Realität spricht für sich.

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER