: Israels ohnmächtige Stärke
Olmert muss jetzt im Nahen Osten die Initiative ergreifen. Denn in den USA bahnt sich ein außenpolitischer Kurswechsel an: Israel könnte bald ohne seine Schutzmacht dastehen
Fast vierzig Jahre sind es nun her, als Israel im Sechstagekrieg 1967 gegen eine überwältigende arabische Militärmacht Krieg führte und sein Sieg in der westlichen Welt und darüber hinaus gefeiert wurde: David gegen Goliath, verkrustete orientalische Autokraten gegen eine junge aufstrebende Demokratie, deren Menschen der nazistischen Mordmaschine entronnen waren. Erst damals änderte sich der Kurs der westlichen Außenpolitik stärker in Richtung Israel, gleichzeitig unterhielt das Land leidlich gute Beziehungen zu den blockfreien Ländern.
Und heute? Die Erinnerung an den Holocaust verblasst, wobei die Monumentalisierung des Gedenkens diesen Prozess paradoxerweise abschließt. Der Holocaust spielt – Deutschland noch ausgenommen – im politischen Bewusstsein der Welt inzwischen eine fast belanglose Rolle. Weit über die arabische Welt hinaus ist Israel als „zionistisches Gebilde“ und „amerikanischer Vorposten“ tief verhasst. Und auch im Westen sind die Sympathien drastisch gesunken – trotz gegenteiliger offizieller Bekundungen. Wie viele Politiker mögen insgeheim so denken, wie es Daniel Bernard, französischer Botschafter in London, privat aussprach, als er Israel als das „shitty little country“ bezeichnete und fragte, weshalb die Welt wegen Israel noch an den Rand eines dritten Weltkriegs gebracht werden sollte? Diese Furcht dürfte durch Olmerts ominöse Bemerkung über Israels Atomwaffen noch bekräftigt worden sein.
Viele glauben, das Verschwinden Israels würde die Weltprobleme lösen. Das ist ein Irrtum – doch schon der Gedanke zeigt, was sich blitzschnell entwickeln könnte: eine Wende in der Nahostpolitik des Westens und speziell der USA. Dass sich Israel auf Gedeih und Verderb an die USA und vor allem George W. Bush gebunden hat, könnte sich noch bitter rächen.
Gewiss, es gibt innenpolitische Gründe, die die Israel-Politik der USA angeblich unausweichlich machen. Da sind zunächst die christlichen Fundamentalisten, eine gut organisierte Wählerschaft, die aus biblischen Glaubensgründen Israel bedingungslos gegen „Philister und Amalekiter“ unterstützen und direkten Zugang zum Weißem Haus genießen. Glaubt man den Politikwissenschaftlern John Mearsheimer und Stephen Walt, so führt auch die „Israel-Lobby“ vor allem des Aipac (America-Israel Public Affairs Committee) die Hand der US-Außenpolitik. Nun ist es sicherlich richtig, dass diese Lobby besonders energisch und effektiv arbeitet, wenn es um israelische Belange geht. Wichtiger als dieser Apparat erscheint freilich ein jüdischer Wählerstamm, der sich gezielt für Israel-freundliche Kandidaten im Kongress und im Senat einsetzt.
Doch obwohl die Pro-Israel- Kräfte in den USA noch immer stark sind – die Anzeichen für eine Kehrtwende in der Israel-Politik und einen Stimmungsumschwung in den USA mehren sich. Joseph Lieberman, wichtiger Unterstützer Israels im Senat, wurde nicht zum Kandidaten der Demokraten New Jerseys gewählt. Der Ex-Präsident Jimmy Carter hat ein Buch über die „Apartheid-Politik“ Israels geschrieben. Die Baker-Hamilton-Kommission empfiehlt ein drastisches Umdenken in der Israel-Palästina-Politik und direkte Gespräche mit Syrien und Iran. Aber wenn die USA mit Syrien und Iran ins Gespräch treten, werden sie die Beziehungen zu Israel in einer Kosten-Nutzen Analyse kühl zu überdenken haben: Welchen Nutzen ziehen die USA heute aus ihrer bedingungslosen politischen und finanziellen Unterstützung Israels?
Stellen wir uns folgendes Szenario vor, das den Status quo in der Zeit nach Bush drastisch verändern könnte. Kein Präsident nach Bush wird sich ähnlich auf die christlichen Fundamentalisten oder auf den rechten Flügel des jüdischen Wählerstammes stützen – es könnte sogar sein, dass er in „unparteilicher“ Attitüde von den seit 9/11 besser organisierten amerikanischen Muslimen Unterstützung erwarten könnte. Muslime und christliche Araber haben, mit geschätzten sieben oder acht Millionen Menschen, mittlerweile in den USA die Zahl der amerikanischen Juden weit übertroffen.
Der nächste Präsident wird aller Wahrscheinlichkeit nach energisch auf die arabisch-muslimische Welt zugehen. Ohne eine gewisse Abkehr von Israel und seiner Politik ist dies undenkbar, und israelisch-amerikanische Unstimmigkeiten könnten leicht Auftrieb bekommen: etwa, wie in der Vergangenheit geschehen, durch Israels Weitergabe amerikanischer Militärtechnologie an gegnerische Staaten, oder allzu drastische Maßnahmen in den besetzten Gebieten.
Auch die Israel-Begeisterung der christlichen Fundamentalisten könnte schnell wieder vom Philosemitismus zum Antisemitismus schwenken. So stünde Israel plötzlich ohne seinen engsten Verbündeten da, und weltweit – da es auf die restliche Welt wenig Rücksicht genommen und kaum Freundschaften gepflegt hat – ohne verlässliche Freunde. Diese Situation hätte verheerende Folgen nicht zuletzt auch für die jüdische Diaspora weltweit, die sich schutzlos dem Antisemitismus ausgeliefert sähe.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich diese Diaspora und ihre Haltung zu Israel dramatisch verändert, was in Deutschland mit seiner schuldverklärten und Israel gegenüber unkritischen Sicht aber bislang kaum wahrgenommen wird. Als 1967 der Juni-Krieg bevorstand, meldeten sich viele Juden in der Diaspora, ob politisch links engagiert oder religiös, als Freiwillige zum Dienst nach Israel; Begeisterung und Hilfe für Israel waren damals bei der Mehrzahl der Juden eine Selbstverständlichkeit. Heute dagegen hat sich, insbesondere in der jüngeren Generation in den USA, das Judentum in ein religiöses, Israel-fixiertes Judentum einerseits und ein eher agnostisches und Diaspora-zugewandtes Judentum andererseits geteilt. Eine Umfrage im Jahre 2004 in den USA ermittelte, dass sich ein Drittel aller Juden nicht mit Israel verbunden fühlt. Aber wie viele derer, die sich Israel verbunden fühlen, würden sich auch für Israel engagieren?
In Europa sind die jüdischen Bindungen an ein Israel, das die Siedler unterstützt und Verhandlungen mit den arabischen Nachbarn ablehnt, eher noch geringer ausgeprägt. Vielen ist Israel aufgrund der israelischen Politik kein besonders wünschenswertes Reiseziel mehr, und ihnen ist vor allem das messianische Herrenmenschentum der Siedler zutiefst befremdlich.
Dieser mangelnde innerjüdische Rückhalt könnte am Ende eine ausgehöhlte „Israel-Lobby“ in den USA, aber auch jüdische Repräsentanzen andernorts wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen lassen, sollten die USA eine außenpolitische Wende einleiten. Ohne eine radikale Wende in der israelischen Politik, also ohne ernsthafte Verhandlungen auch mit der Hamas und Syrien und der Rücknahme der Siedlungen in der Westbank und um Jerusalem, sieht nicht nur Israels Zukunft düster aus, sondern auch die der jüdischen Diaspora. Olmerts Anspielung auf Israels Atombombe ist nur ein Ausdruck dieser ohnmächtigen Stärke. MICHAL BODEMANN