Countdown für die Rente mit 65 Jahren

Beschäftigte, die bis Silvester einen Antrag auf Altersteilzeit stellen, können später abschlagsfrei in Rente gehen

BERLIN taz ■ Es ist ein ungelöstes Rätsel unseres Sozialstaates. Was passiert in Zukunft mit den 60-Jährigen in den Betrieben, wenn es keine Altersteilzeit und keine Rente mit 65 mehr gibt? Einen Vorgeschmack auf die Hektik, die dann ausbrechen könnte, zeigt sich jetzt kurz vor Silvester. Viele Beschäftigte versuchen, noch vor Jahresende einen Altersteilzeitvertrag abzuschließen, um in den Genuss günstiger Konditionen zu kommen.

„In den Beratungsstellen herrscht deutlich mehr Andrang als sonst“, sagt Walter Glanz, Experte bei der Deutschen Rentenversicherung. Der Stichtag 31. Dezember spielt für die 52- bis 54-Jährigen eine wichtige Rolle. Denn nur wer in diesem Jahr noch einen Vertrag über Altersteilzeit abschließt, kann im Alter von 65 Jahren ohne Abschlag in Rente gehen. Ein Beschäftigter des Jahrgangs 1952 etwa, der erst im kommenden Jahr einen Altersteilzeitvertrag abschließt, muss hingegen nach Erreichen des 65. Lebensjahres noch sechs Monate länger arbeiten, um ohne Kürzung in den Ruhestand wechseln zu können. Für jeden Monat, den er dann weniger malocht, wird ein Abschlag von 0,3 Prozent der Rente fällig.

Der Stichtag sorgt für eine gewisse Aufregung in den Betrieben. „Viele Beschäftigte in den Fünfzigern kommen jetzt und erkundigen sich“, sagt die Betriebsrätin eines mittelständischen Verlages, „doch es gibt viele Missverständnisse.“ Denn nach wie vor bedeutet die Altersteilzeit für die Betroffenen, während dieser Phase auf 20 bis 30 Prozent des Nettogehaltes verzichten zu müssen. „Das können sich viele nicht leisten“, so die Betriebsrätin.

Eine Modellrechnung für eine 54-Jährige, die heute einen Vertrag unterzeichnet, könnte so aussehen: Der Vertrag wird jetzt abgeschlossen, die Altersteilzeit beginnt aber erst, wenn die Frau 57 Jahre alt ist – also 2009. Wird die Altersteilzeit über acht Jahre vereinbart, bleibt die Frau die ersten vier Jahre in Vollzeit im Betrieb und dann für vier Jahre zu Hause, verlässt das Unternehmen faktisch also mit 61 Jahren. Während der acht Jahre bekommt sie die Hälfte ihres Gehaltes plus einen Aufstockungsbetrag, sodass ihr Nettogehalt beispielsweise 75 Prozent des alten Entgelts beträgt. Den Aufstockungsbetrag bekommt der Arbeitgeber höchstens für sechs Jahre von der Bundesarbeitsagentur erstattet, und auch nur dann, wenn er als Ersatz für die Frau jemand Neuen einstellt.

Die Altersteilzeitregelung erlaubt es Unternehmen bislang, Beschäftigte im Alter von kaum mehr als 60 Jahren nach Hause zu schicken. Sie läuft allerdings im Jahre 2009 aus. Danach werden zwar bestehende Vereinbarungen weiterfinanziert, aber keine Altersteilzeitphasen mehr begonnen. Die Frage, was mit den mehr als 60-Jährigen in den Betrieben geschehen soll, wird dann erst richtig akut.

IG-Metall-Vizechef Berthold Huber fordert daher eine Anschlussregelung. Es müsse auch nach 2009 für die Beschäftigten eine Möglichkeit geben, vorzeitig auszuscheiden – weil viele von ihnen aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr arbeiten könnten, selbst wenn sie es wollten. BARBARA DRIBBUSCH