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Archiv-Artikel

Ein Fluss als tote Zone

Die Kreuzfahrtriesen der Meyer Werft können die Ems jetzt passieren. Aber jahrzehntelanges Baggern hat das einst intakte Gewässer ruiniert. Eine neue WWF-Studie spricht von einer ökologischen Katastrophe. Im Fluss sei zu wenig Sauerstoff

VON KAI SCHÖNEBERG

Kühe und Wiesen, nur ab und an schippert einer der in der Meyer-Werft gebauten Kreuzfahrt-Riesen den Fluss hinab Richtung Dollart und Nordsee. Doch die Idylle trügt: Durch dauerndes Baggern und Begradigen scheint die 371 Kilometer lange Ems heute als Biotop ohne Zukunft. „Der Fluss wurde in den vergangenen zehn Jahren regelrecht ruiniert“, sagt Beatrice Claus von der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF).

Der Sauerstoffhaushalt des Flusses habe sich „katastrophal“ entwickelt, zitiert Claus aus einer neuen Untersuchung der Gewässerqualität des Flusses, die der WWF demnächst veröffentlichen will. Danach kommt es auf einer Gewässerstrecke von 15 Kilometern „jedes Jahr über Monate zu dramatischen Saustoffmangelsituationen“, vor allem im Sommer. Schwebstoffe belasteten die Unterems heute durch das ständige Ausbaggern „um das 120-fache höher als in den Flussmündungen der Weser und Elbe“, sagt die Ems-Expertin Claus. Fische bekämen Sauerstoffprobleme, „weil die Kiemen verstopfen“, einstige Laichgebiete von Stint und Finte, Zander oder Barsche lägen nun in einer „toten Zone“. In den vergangenen Jahren ist die graue Brühe Unterems und auch der Unterlauf des Nebenflüsschens Leda um drei Gewässergüteklassen herabgestuft worden: Von „kritisch belastet“ auf „sehr stark verschmutzt.“

Ursache für die Neubewertung: Die derzeit etwa 2.300 Arbeitsplätze bei der Meyer Werft in Papenburg sollen geschützt werden. 1996 entschied sich der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) für den Bau des Emssperrwerks bei Gandersum. Anstelle immer weiterer Ausbaggerungen für die immer größeren Meyer-Cruiser sollte das Sperrwerk den schwierigsten Abschnitt der 70 Kilometer langen Überführungsstrecke auf der Gezeiten-abhängigen Ems bei Bedarf in eine Art Badewanne mit hohem Wasserstand verwandeln können. Außerdem dient die vor vier Jahren fertiggestellte 470 Meter lange Betonsperre als Bollwerk gegen Sturmfluten, die von der Nordsee anrollen. Trotz einer Klageflut von Umweltverbänden (siehe Kasten) und dauernden Kostensteigerungen auf zum Schluss 220 Millionen Euro wurde das Sperrwerk vor vier Jahren in Betrieb genommen.

Die Bilanz für die Ems ist laut der WWF-Studie verheerend: Trotz des Sperrwerks hat der Fluss keine Ruhe. Damit die 300 Meter langen Pötte den Fluss passieren können, „wird noch genauso viel gebaggert wie früher“, sagt Claus. Weitere Begradigungen und Brücken sind zudem geplant. Immerhin fließen ab kommenden Jahr erstmals 500.000 Euro in einen seit Jahren umkämpften Ems-Fond bei der Niedersächsischen Umweltstiftung.

Das ist Teil eines Vergleichs, mit dem Umweltverbände und Land vor zwei Wochen einen Schlussstrich unter ein seit 1998 tobendes Hick-Hack zogen, das bis zum Bundesverwaltungsgericht ging. Eigentlich hatten Land und BUND, Nabu und WWF bereits 1994 die so genannte Emsvereinbarung geschlossen. Danach sollte die damalige Flussvertiefung auf 7,30 Meter die letzte sein, Niedersachsen verpflichtete sich gegen Wohlverhalten der Verbände zur Errichtung einer eigenständigen Ems-Stiftung mit einem Kapital von zehn Millionen Mark. Aber erst zwölf Jahre später erklärte sich das Land bereit, insgesamt bis zu neun Millionen Euro für Umweltmaßnahmen an der Ems bereitzustellen.

Die Umweltschützer fühlen sich von der Landesregierung über den Tisch gezogen: Er habe sich „erpresst“ gefühlt und nur mit „zusammengebissenen Zähnen“ zugestimmt, um einen ewigen Rechtsstreit mit dem Bundesland zu vermeiden, sagt ein Verhandlungsführer der Ökologen in einer vertraulichen Mail, die der taz vorliegt. Auch öffentlich wehren sich die Umweltverbände: „Eigentlich wären 22 Millionen Euro für den Fluss nötig“, sagt WWF-Expertin Claus. Die Natur werde „entscheidend von der Einigung zwischen Landesregierung und Umweltverbänden profitieren. Das ist praktische Umweltpolitik für Niedersachsen“, rühmt sich Umwelt-Staatssekretär Christian Eberl.

„Der Vergleich wird der Ems nichts mehr bringen“, meint hingegen Meta Janssen-Kucz. Die grüne Landtagsabgeordnete aus Leer sieht „keine Chance, dem toten Fluss wieder Leben einzuhauchen. Das Land hat einfach vermieden, frühzeitig die Weichen zu stellen“.