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Archiv-Artikel

Der Lebkuchen

Deutscher Kosmopolit

Nichts ist uns so vertraut im Advent wie der Lebkuchen, und gleichzeitig ist kaum etwas im mitteleuropäischen Kochraum so weit gereist wie die Spezereien, die in dem leckeren Backwerk stecken. Schon die Griechen kannten die ohne Hefe gebackenen Kekse. Doch bis Gewürze im Mittelalter zum globalen Zahlungsmittel wurden, war es vor allem Honig, der dem Gebäck den Geschmack gab. Erst in der Umgebung der großen Handelsplätze – München, Nürnberg, Ulm, Leipzig, Aachen – wurde aus den Honigkeksen ein Multikultikuchen. Schon aus dem 16. Jahrhundert sind eine Fülle von Rezepten erhalten, die Zimt, Nelken, Ingwer und Kardamom als Ingredienzen auflisten.

Inzwischen kommen die Zutaten, die im Lebkuchengewürz stecken, vom ganzen Globus: Kardamom und Zimt, deren ursprüngliche Heimat Sri Lanka ist – die Gewürzrinde wurde dort einst von Vasco da Gama entdeckt; Ingwer und Koriander aus dem Fernen Osten; Gewürznelken und Anis aus dem Mittelmeerraum, wahlweise Sternanis aus China oder Vietnam; Piment, das zuerst von Kolumbus auf den karibischen Antillen aufgespürt wurde; Vanille aus Mexiko; Muskat, das von den Molukken aus, einem Archipel im indonesischen Inselgewirr, seinen Weg in die Küchen und Gewürzgärten der Welt fand. Doch erst in neuerer Zeit ist die Gewürzmischung so ausladend. Vanille beispielsweise fehlt in den handelsüblichen Tütchen für den Pfefferkuchen, die klassisch Zimt, Nelken, Piment, Muskatnuss, Koriander, Kardamom und Ingwer enthalten. Vanille ergänzt mit seinem warmen, milden Geschmack gut die pfeffrigen Noten.

Dass die Mischung viel zu gut ist, um nur in Printen oder Pfefferkuchen unterzukommen, haben nun auch Eishersteller oder Milchverarbeiter festgestellt. Lebkucheneis oder -joghurt stehen schon ein paar Winter lang in den Kühlregalen, aber auch in der Küche und außerhalb der Adventssaison lässt sich der Mix vielseitig einsetzen. Für süße Sachen wie Milchreis, Pudding oder Panna Cotta genauso wie für Scharfes: Mit Curry oder Senfsaat in den Schmortopf gerührt, wird daraus ein Gulasch à la indienne, mit etwas mehr Zimt wird aus einem Backhähnchen eine arabische Köstlichkeit. Oder der Lebkuchen selbst: Zerbröselt und mit Ei gebunden als Farce auf einem Stück Fleisch, wird daraus in zehn Minuten im Ofen eine Kruste, die dem Gaumen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erzählt.

JÖRN KABISCH