: Zurück nach Hause gibt es nicht
Im indonesischen Bezirk Aceh Besar versuchen Tsunami-Flüchtlinge seit zwei Jahren ein neues Leben aufzubauen. Sie brauchen weiterhin Hilfe
AUS JANTHO NICOLA GLASS
Aus dem Kassettenrekorder quäkt Musik. Die Luft ist heiß und stickig. Auf einer Bank sitzen mehrere Frauen in der Sonne. Daneben ein Verkaufsstand, ein schmaler Holzverschlag. Hier bieten die Frauen Süßigkeiten, Chips und Nüsse an. Sie wollen, sagen sie, ein ganz normales Leben führen – zumindest versuchen sie es. Schräg gegenüber führt ein schmaler Pfad nach links, in eine Reihe dicht beieinanderstehender Häuser aus Pinienholz: Vorläufige Unterkünfte für ein paar hundert Familien. Vor fast jedem Haus hängen Blumenkästen. Ein Bewohner hat Wein angepflanzt, die Ranken reichen schon bis über das Dach.
In einem der Eingänge steht Nurbaiti, 22 Jahre alt, schmal mit lächelnden, dunklen Augen. „Willkommen!“, sagt sie. Ihre Freundinnen haben sich in dem kleinen Vorraum, der gleichzeitig Wohnzimmer ist, versammelt. Wardiah und Kalisma hat Nurbaiti hier kennengelernt. Die Frauen teilen das gleiche Schicksal: Sie leben weiter mit den Schrecken des verheerenden Tsunami, der am Morgen des 26. Dezember 2004 über die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans hereinbrach und vor allem die Provinz Aceh verwüstet hatte.
Gestrandet sind sie alle hier, in Jantho, im Distrikt Aceh Besar, gut anderthalb Autostunden von der Provinzhauptstadt Banda Aceh. Nahezu alle Bewohner in Jantho haben durch den Tsunami Familie und Freunde verloren. Nach der Vergangenheit befragt, schweigen sie, wenden den Kopf ab. Eine verhüllt ihr Gesicht, als jemand erzählt, dass sie drei von fünf Kindern bei der Flutwelle verloren hat. Sie können und wollen nicht darüber sprechen.
Die Hilfsorganisation Care versucht den Menschen über ihre Verluste hinweg zu helfen. Es gibt hier ein Radioprogramm, in dem Features über das Leben nach der Flut erzählt werden – zum Mutmachen und Durchhalten. Auch treffen sich die Frauen zu Näh- und Schneiderinnenkursen. Sie erlernen nicht nur das Handwerk, sondern können sich mit Gleichgesinnten austauschen, die dasselbe Trauma immer noch und immer wieder durchleben. Nurbaiti sagt: „Ich bin froh, in diesem Programm mitzuarbeiten. Nach nur wenigen Monaten weiß ich, wie man ein Kleid näht oder Stoffe zuschneidet.“ Keinesfalls will die 22-Jährige, die hier ihren Mann kennengelernt hat, nur zu Hause sitzen. Immer noch sei sie traurig, wenn sie an die Vergangenheit denke: „Hier kann ich mit den anderen Frauen reden. Das macht es mir leichter.“
Froh darüber, nicht untätig herumsitzen zu müssen, ist auch Kalisma. Dadurch, sagt die 32-Jährige mit den dunklen Locken, könne sie ihren Mann unterstützen. „Und wir teilen hier unsere Gefühle, über den Tsunami und unsere Familien.“ In Jantho hat Care, zusammen mit den Mitgliedern der örtlichen Gemeinde, Unterkünfte gebaut. Die Materialien stammen vom Roten Kreuz, Unterstützung kommt unter anderem aus Österreich und Deutschland. In der Nähe entstehen gerade feste Behausungen für rund 260 Familien.
Was die Zukunft bringt, wissen die Menschen nicht. Die gewaltige Flutwelle hat sie alle aus ihrem alten Leben gerissen. Ein neues aufzubauen, ist schwer, vor allem in einer neuen Umgebung, einer neuen Gemeinschaft. Trotzdem versuchen sie es mit aller Kraft. So wie Ahmad Bahlu, der Fischer und Kleinbauer von Beruf ist. Der 55-Jährige lebte auf Pulo Aceh, einer Inselgruppe an der westlichen Küste. Dort hatte der Tsunami mit als Erstes und am heftigsten zugeschlagen. Mit Schaudern erinnert sich Ahmad an die bis zu 25 Meter hohen Wellen.
Seine Augen bekommen einen sehnsüchtigen Ausdruck: Eine kleine Insel sei seine alte Heimat gewesen, ganz umgeben vom Meer. Jantho ist ganz anders: Ein Hochland, in dem vor allem Landwirtschaft betrieben wird. „So weit weg von der See“, sagt Ahmad. Er ist immer noch dabei, sich einzugewöhnen. Es sei insofern schwer, weil er kein eigenes Stück Land habe. „Ich kann mich in die neue Gemeinschaft einfügen, aber ich brauche eigenes Land.“ Er hat ausgerechnet, dass er zum Lebensunterhalt mindestens einen Hektar benötigt.
Ähnlich sieht das für Hamdani Umar aus. Seit er zwölf Jahre alt war, erzählt der 50-Jährige mit der Baseballkappe, sei er Fischer gewesen, wie sein Vater, wie seine ganze Familie es seit Generationen war. Traurig sei er gewesen, als er umziehen musste, in die neue Umgebung, wo er niemanden kannte. Auch er ist hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Angst: Die See vermisse er nicht, sagt Hamdani Umar, er habe Angst davor, das Wasser wiederzusehen. Und doch kann er seine Heimat Pulo Nasi nicht vergessen. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Sein Haus wurde von der Flutwelle weggespült, das Land überflutet. Ganze Küstenlinien haben sich seit dem schweren Seebeben vor zwei Jahren verschoben, manche Landstriche sind immer noch unter Wasser. „Es gibt nichts mehr, zu dem ich zurückkehren könnte“, sagt Hamdani leise. Wie Ahmad hofft auch er auf ein eigenes Stück Land, das er bewirtschaften kann.
Viele Hilfsorganisationen in Aceh bieten Kurse zur Aus- und Weiterbildung, zur psychosozialen Betreuung und zur Wiedereingliederung an. Care ist zudem dabei, ein Projekt zu starten, in dem die Acehnesen Pläne für ihr eigenes kleines Business vorstellen können. Dafür soll es dann finanzielle Zuschüsse geben. Die 22jährige Nurbaiti würde sich jedenfalls freuen: „Ich möchte gern einen kleinen Laden aufmachen“, kündigt sie an. Momentan könne sie sich die Materialien dafür noch nicht leisten, aber sie hofft darauf, möglichst bald das Geld und die Möglichkeit dazu zu haben. Wie Nurbaiti wollen die Menschen in Aceh ihr Leben nach der Flut endlich wieder in die eigenen Hände nehmen und nicht dauernd auf fremde Hilfe angewiesen sein – so dankbar sie auch für die Unterstützung sind.
Doch die ist längst nicht überall angekommen. Trotz weltweit gesammelter Milliardenspenden beklagen Bewohner in den vom Tsunami betroffenen Ländern, dass sie zwei Jahre nach der Katastrophe weiterhin leer ausgehen. Die in Aceh ansässige Organisation Anti-Corruption-Movement monierte vor kurzem, dass generell zwischen 30 und 40 Prozent aller Hilfsgelder für andere Zwecke missbraucht worden seien. Nach Angaben der internationalen Organisation Oxfam warten mehr als 25.000 arme und landlose Familien in Aceh immer noch auf feste Unterkünfte. Eines der größten Probleme dabei seien die nach wie vor ungeklärten Landrechte. Durch die Flut sind die meisten Ausweise und schriftlichen Landnachweise verloren gegangen. Viele Menschen können den Anspruch auf ihren Besitz nicht mehr beweisen.
Alle vom Tsunami Betroffenen wollen nur eines: ein neues Leben nach der Flut aufbauen. Egal wo, sagen die meisten mittlerweile. Auch der ehemalige Fischer und Kleinbauer Ahmad Bahlu. Er hat akzeptiert, dass es keine Rückkehr mehr gibt: „Jantho ist ein Gebiet für Umsiedler“, sagt er, nach Pulo Aceh zurückzugehen sei unmöglich. „Wenn man einen Ort für mehr als ein Jahr verlässt, dann gehört man nicht mehr dorthin. Und wir haben uns nun hier angesiedelt.“