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Archiv-Artikel

Warten auf den Durchbruch

HERZENSHIPPIE Der in Berlin lebende amerikanische Musiker Sarsaparilla kombiniert Folk und Psychedelik mit berückend schönen Melodien

Die Musik, die Miller unter dem Namen Sarsaparilla veröffentlicht, fällt ziemlich aus dem Rahmen dessen, was andere Amerikaner in Berlin herausbringen

VON THOMAS WINKLER

Brandon Miller hat die Pforten der Wahrnehmung gefunden. Es sind sieben. Sie sind aus Holz, rosa angestrichen und fein säuberlich durchnummeriert. Sie befinden sich, etwas versteckt, in einem Hinterhof in Neukölln, eingeklemmt zwischen Friedhof und Flamenco-Schule.

Wenn Brandon Miller aus seinem Wohnküchenfenster guckt, dann kann er sie sehen, die sieben alten Garagentore und die Farbe, die von ihnen abbröckelt. Welche der Pforten hat er denn schon durchschritten? Auf welcher Ebene der Erkenntnis ist er bereits angelangt? Miller lacht und stellt sich dann genau in die Mitte zwischen die Tore mit den Ziffern „6“ und „7“. „Bis Ende des Jahres“, sagt er dann, „sollte ich es geschafft haben.“

Esoterik und Humor

Brandon Miller hat einen gewissen Hang zum, nennen wir es mal, Spirituellen, auch wenn ihm selbst dieser Begriff „zu esoterisch“ ist. Und er hat Humor. Eine Kombination, die ziemlich selten ist. Außerdem ist er Amerikaner und Musiker. Das ist jetzt keine so seltene Kombination, vor allem nicht dieser Tage in Berlin. Die Musik aber, die Miller unter dem Namen Sarsaparilla veröffentlicht, fällt ziemlich aus dem Rahmen dessen, was andere Amerikaner in Berlin herausbringen. Miller ist kein DJ und kein Electro-Produzent, er ist auch kein gelangweilter Rockmusiker. Nein, Sarsaparilla spielen fein gesponnenen Folk mit ausufernden Ausflügen in die psychedelische Ära.

Ja, es ist schon auch Rock zu finden auf dem neuen Album „Everyone Here Seems So Familiar“, aber doch vor allem solcher, der in Sechzigerjahren modern war. Außerdem trägt Miller einen ziemlich buschigen Bart, steckt in einer grob gewirkten Strickjacke und seine Katze heißt Yogi. „Ich bin wohl ein Herzens-Hippie“ sagt er und lacht schon wieder: „Bei den Hippies, da ging es um Liebe, das ist doch toll.“

Millers Lachen ist ein Glucksen, das mehr nach innen geht als nach außen. Ein Lachen, das sich immer ein bisschen wundert, wie lustig diese Welt ist. Es ist ein Lachen, das vielleicht jeder lachen würde, hätte er so eine seltsame Biografie hinter sich gebracht wie Brandon Miller. Geboren wurde er 1979 in Silver Spring in Maryland, aufgewachsen ist er in Philadelphia und hat dort seinen Highschool-Abschluss „irgendwie geschafft“. Danach ging es hin und her: In Hawaii hat er ein halbes Jahr am Strand gelebt, an verschiedenen Universitäten hat er nicht so richtig studiert, er arbeitete für einen Antiquitätenhändler, ging Gassi für 30 Dollar pro Hund und lernte Gitarre spielen.

Doch dass er Musiker wurde, daran ist sein Großvater schuld. Als der krank wurde, pflegte ihn Miller, seinen Tod musste er in Liedern verarbeiten. Der Opa war es auch, der seiner Band den Namen gab: Das Letzte, worum er seinen Enkel bat, war ein „Sarsaparilla“, ein mit dem gleichnamigen Kraut (dt.: Stechwinde) gewürzter, noch in den Fünfzigern beliebter Softdrink, dem berüchtigten Root Beer vergleichbar.

Nun wusste Miller zwar, dass er Musiker werden wollte, aber noch nicht so genau, wie. Also führte er weiter Hunde aus, darunter einen gewissen „Fritz“. Dessen Besitzer, ein reiches österreichisches Ehepaar, nahm den Tierfreund als persönlichen Hundeausführer und Mädchen für alles mit auf Reisen bis nach Europa. In Wien traf er Marina aus Berlin. Die war Schauspielerin und Miller schnell verliebt. Heute ist Miller mit Marina verheiratet, seit Mai 2009 in Berlin und vielleicht der einzige amerikanische Musiker in der Stadt, der nicht in erster Linie hierhergekommen ist, weil die Mieten so niedrig sind und das Ambiente so pittoresk ist.

Jedenfalls hat Miller keinen Kontakt zu anderen Expats, und in seiner Band spielen Deutsche. Mit denen arbeitet er bereits an neuen Stücken, während „Everyone Here Seems So Familiar“ eine Auswahl ist von Songs seiner ersten drei Alben, die er im Selbstverlag herausgegeben hatte, aber trotz einiger berückend schöner Melodien weitgehend untergingen. Für das Best-of gibt es nun zumindest einen richtigen Vertrieb, eine professionelle Werbeagentur und die Hoffnung, „damit nun endlich mehr Menschen zu erreichen“.

Seine Lieder, die, kaum verwunderlich, oft vom Reisen handeln, hätten ein größeres Publikum verdient. Dumm, dass der Freak-Folk-Boom, von dem er hätte profitieren können, schon wieder vorbei ist. Miller ist für eine große Karriere vielleicht auch zu schüchtern: Katze Yogi jedenfalls ist vor der Kamera der Fotografin sehr viel unbefangener als ihr Besitzer. So lebt Miller bislang noch „von der Hand in den Mund“. Er ist ein Musiker, der auf den Durchbruch wartet. Vielleicht kommt der ja, bevor Brandon Miller auf der anderen Seite der Wahrnehmung, hinter dem rosa Tor mit der Nummer 7 verschwunden ist.

■ Sarsaparilla: „Everyone Here Seems So Familiar“ (R.D.S./Cargo); live: heute, 22 Uhr, Grüner Salon in der Volksbühne