Gericht hebt Urteile gegen Militärs auf

TÜRKEI Der Prozess gegen 230 Marineangehörige wegen eines Putschversuchs gegen die Regierung Erdogan wies laut Revisionsgericht erhebliche Mängel auf. Er fand vor einem Sondergericht statt

ISTANBUL | In einem der beiden großen Verfahren gegen Angehörige des türkischen Militärs hat das Oberste Revisionsgericht der Türkei Mittwochabend die Urteile gegen 230 Angeklagte aufgehoben und an die untere Instanz zurückverwiesen. Das Verfassungsgericht befand, dass das Verfahren in der Form, wie es geführt worden war, nicht zulässig ist.

In dem Verfahren sind vor allen Angehörige der Marine betroffen, denen ein Putschversuch gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen wird. Das Verfahren wurde vor einem extra dafür geschaffenen Sondergericht geführt. Dies hat das Verfassungsgericht nun als unzulässig gerügt. Das Gericht kritisierte auch, dass wichtige Entlastungszeugen nicht zugelassen wurden und die Überprüfung mutmaßlich gefälschter Beweise vom Gericht verboten worden war. Alle 17 Verfassungsrichter waren sich einig, dass es für die Angeklagten keinen fairen Prozess gegeben hat.

Damit droht ein wichtiger Bestandteil der juristischen Abrechnung der AKP-Regierung mit dem Militär ins Wanken zu kommen. Der Prozess muss nun wiederholt werden – vor einem normalen Gericht, weil die AKP-Regierung die Sondergerichte mittlerweile aufgelöst hat.

Im Falle aller Angeklagten wird jetzt gerichtlich geprüft, ob sie aus der Haft entlassen werden, bis in einem neuen Prozess über sie entschieden worden ist. Ein Militär wurde bereits gestern auf freien Fuß gesetzt, 88 weitere können sich berechtigte Hoffnung machen, demnächst erst einmal entlassen zu werden.

Ebenfalls am Mittwoch hat ein anderes Gericht den mittlerweile 95 Jahre alten General Kenan Evren, der 1980 einen blutigen Militärputsch angeführt hatte, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund seines hohen Alters wird er aber die Strafe nicht mehr antreten müssen. JÜRGEN GOTTSCHLICH