: „I Brake Together“
Die Gegenwelt zum Comedyhype und das Ende des faden Versuch-Hits „Käsebrot“: Helge Schneider geht wieder mit genial pointenlosen Geschichten, blöden Witzen und wildem Jazzklavier auf Tournee
VON JENNI ZYLKA
Im Radio hatte er angedroht, bei seiner neuen Show auch „Katzeklo“ zu spielen, dieses überflüssige, anbiedernde Stück Comedymusik, das Helge Schneiders Ticket in sämtliche Deutsche-Eiche-Wohnzimmer der Nation bedeutete – und ihm doch so wenig gerecht wurde. Aber erfreulicherweise hat Schneider, dessen Führer-Darstellung in Dani Levys in zwei Wochen startendem Hitler-Film zu sehen sein wird, es überhaupt nicht mehr nötig, sich in irgendeiner Form ranzuschmeißen. Auch nicht ans „Wir wollen unbedingt gemeinsam lachen“-Weihnachtspublikum am Tourstart-Montag im Admiralspalast. Stattdessen stolperte er lieber im Schneckentempo über die Bühne, erzählte pointenlose und genau darum wunderbare Geschichten und fächerte sein unglaubliches Talent für Musik, Sprache und eigenartigen Slapstick auf, als wäre es noch Ende der 80er und die mitten ins Grauen geschwappte Comedywelle hätte nie stattgefunden.
Was musste das Publikum, das saubere, spießige, punktgenaue und umso eher voraussehbare Pointen gewöhnt ist, alles hinnehmen, vor allem in der zweiten Hälfte des neuen Schneider-Programms „I Brake Together“: wieder mal ein fast 15-minütiges Pete-York-Schlagzeugsolo, gefolgt von einem wilden Jazzpianoteil – um dann die dürftigen Bongo- und Kongakünste der beiden Bühnenjoker Sergei Gleithmann (im schwarzen Ganzkörper-Beatnikoutfit samt Fusselbart) und Bodo Österling zu erleben. Dazu zum Anbeißen improvisiert wirkende Faselepisoden über seinen Techniker, der im Flensburger Rausch eine Bühnendeko wie „Orpheus in der Unterwelt“ erschaffen habe; über Louis Trenker, den der weißhaarige Kontrabassist Rudi Olbrich „ja noch persönlich kennt: Parallelklasse“; darüber, dass Jopi Heesters erst kürzlich auf der gleichen Bühne gestanden habe, „da oben ist noch der Haken“; und natürlich, weil es jedes Mal wieder lustig ist, die Udo-Lindenberg-Nummer, bei der er mit der Flasche mit Hut im Originaltimbre ein Duett singt.
Das Ganze dramaturgisch komplett an den Seh- und Gackergewohnheiten der meisten Witzboldfreunde vorbei: Wenn er will, kann er zwar auch ganz normale, nur ein bisschen seltsame Witze erzählen, Oneliner wie den mit dem Mann, der zum Arzt geht und sich krankschreiben lässt, „Nagelbettentzündung, aber nicht ich, sondern meine Frau – ich bin Fakir“. Aber glücklicherweise macht er es meistens nicht. Sondern passt das Publikum einfach seinem eigenen, durch himmelstürmerische musikalische Begabung geprägten Rhythmus an und spielt zur Zugabe konsequent statt des neuen belanglosen Hitversuchs „Käsebrot“ einfach einen provozierend lahmen Barjazzsound, über den er ausschweifend parliert bis zum Hinweis: „Ihr seid ein tolles Publikum. Ohne euch wäre es hier wie leer gefegt. Die nächsten kommen erst morgen.“
Und so kann – trotz jahrelangem Existieren, trotz durch Alter, Medien und Spaßerfahrung bedingtem Abnutzungseffekt, trotz „Helge!“-Prollgebrülle, trotz dummem Zeug wie „Katzeklo“, „Marihuana“, „Käsebrot“ oder Fernsehauftritten bei Hugo Egon Balder – ihm keiner das Wasser reichen „aus meiner eigenen Flasche. Da kann dann keiner sagen, Helge, du darfst keinen zweiten Schluck.“ Helge Schneider ist eine eigene Spaßkategorie, am ehesten noch mit dem ähnlich musikalisch begnadeten, ähnlich eigenwilligen 40er-Jive-Comedian Slim Gaillard zu vergleichen, dessen lautmalerisch einer armenischen Speisekarte nachempfundener Song „Yep Roc Heresy“ vor längerer Zeit von einem US-Radiosender aus dem Programm genommen wurde, weil man Schmutziges vermutete, und dessen fantastischer Boogie „Chicken Rhythm“ nur aus zweistimmigem Hühnergegacker besteht.
Wahrscheinlich hat man sich dennoch am meisten beömmelt, als man Helge Schneider das erste Mal gesehen hat. Und weil inzwischen viel zu viel Wasser den Mississippi heruntergeflossen ist und man ihm die Fernsehauftritte einfach übel nimmt, lacht man nicht mehr ganz so tränenreich wie damals. Aber man muss sich nur einmal andere sogenannte Stand-up-Comedians oder Kabarettisten angucken oder einen von Schneiders extrem anarchistischen, darum auch größtenteils kommerziell gefloppten Kinofilmen, zum Beispiel die merkwürdige, filmisch charmant und bewusst katastrophale Jazz-Außerirdischenstory „Jazzclub“. Und schon ist die singende Herrentorte, die seit Jahren auf den gleichen Bühnen, auf denen müde Max-Raabe-Animateurtypen oder ausverkaufte Musicalgeschmacklosigkeiten gespielt werden, rehabilitiert.