Eine Nation gegen den Rest der Welt

Somalias nationaler Zusammenhalt entstand immer in der Abwehr des mächtigen Nachbarn Äthiopien. Davon können jetzt Somalias Islamisten profitieren und sich zu Hütern des Nationalismus aufschwingen

Die somalische Flagge entstand in den 50er-Jahren in den Farben der Vereinten Nationen, mit einem weißen Stern auf hellblauem Grund. Das Hellblau stand für Somalias Dank an die Weltgemeinschaft, die das Land nach 1945 unter Mandat genommen hatte; die fünf Zacken des Sterns standen für die fünf Territorien, in denen ethnische Somalis leben: Italienisch-Somalia, Britisch-Somaliland, Französisch-Somaliland (heute Dschibuti), der Nordosten Kenias und der Osten Äthiopiens. Nur die ersten beiden Gebiete wurden nach der Unabhängigkeit 1960 zu „Somalia“ vereint. Heute ist Somalias Flagge Ausdruck enttäuschter Hoffnungen: die auf einen Staat aller Somalis und die auf internationale Unterstützung.

Somalias neuer Krieg mit Äthiopien ist das jüngste Kapitel in einer langen Geschichte von Missverständnissen zwischen Somalia und dem Rest der Welt. Seit dem Zerfall des letzten somalischen Staates 1991, als Rebellen den Militärdiktator Siad Barré stürzten, haben die politischen und militärischen Führer Somalias nichts als Leid über die somalische Bevölkerung gebracht. Aber ihre neue „Übergangsregierung“, die in der Kleinstadt Baidoa residiert, genießt internationale Anerkennung, und ihre militärische Schutzmacht Äthiopien überzieht nun Somalia mit Krieg. Die eigentlichen Regierenden im Süden Somalias, der Rat Somalischer Islamischer Gerichte (SICC), werden hingegen als Vortrupp al-Qaidas verfemt, obwohl die Islamisten seit ihrer Einnahme Mogadischus im Juni zum ersten Mal seit 15 Jahren Frieden in die kriegszerstörte somalische Hauptstadt gebracht haben.

Manche in Somalia vermuten dahinter eine internationale Strategie zur Schwächung des Landes. Der einzige Teil Somalias, der nach 1991 nicht ins Chaos stürzte – das einstige Britisch-Somaliland, das jetzt als eigener Staat namens Somaliland mit regulären Wahlen existiert – wird international ebenfalls nicht anerkannt. Die von Äthiopien unterstützte Baidoa-Regierung entstand im Exil in Kenia, nachdem der vorherige Versuch der Bildung einer neuen somalischen Zentralregierung international abgelehnt wurde – weil Mogadischus Islamisten ihn unterstützten.

Somalischer Nationalismus hat sich historisch immer gegen den mächtigen Nachbarn Äthiopien konstituiert. Von 1976 bis 1978 versuchte Somalia – damals von den USA unterstützt – den somalisch bevölkerten Osten Äthiopiens zu erobern und zu annektieren. Sowjetische und kubanische Hilfe für Äthiopien setzte dem ein Ende. Die geschlagenen somalischen Militärs dieses blutigen Krieges waren die Basis der Rebellionen, die später Somalias Diktator Siad Barré stürzten. Dass sie sich danach zerstritten, war für Äthiopien eine Genugtuung. Und nun rückt Äthiopiens Armee selbst über die Grenze. Aus somalischer Sicht ist all das eine ungebrochene Fortsetzung des jahrhundertealten äthiopischen Expansionsdranges vom Hochland um Addis Abeba in Richtung der Ozeane. Anhaltende Rebellionen in den von muslimischen Oromos und Somalis besiedelten Gebieten Süd- und Ostäthiopiens sind heute ein Anlass für Addis Abeba, somalischen Nationalismus und somalischen Islamismus als denselben Feind zu bekämpfen.

Damit kommt in Somalia selbst eine fatale Kettenreaktion in Gange. Die Islamisten können sich an die Spitze eines neu erwachten anti-äthiopischen Nationalismus setzen und alle, die sich nicht Mogadischu unterwerfen, als Marionetten des Auslands brandmarken. Anstatt dass Somalia, wie von den USA befürchtet, zu einem neuen Rückzugsgebiet al-Qaidas wird, könnten islamische Gemeinschaften in ganz Ostafrika in den Sog der Verteidigung eines islamischen Somalias gegen die feindlichen Nachbarn geraten. DOMINIC JOHNSON