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REFORM Deutschlandradio Kultur sendet ab heute ein anderes Programm. Doch die Chefs des Senders vergaßen ihre Mitarbeiter. Viele packt die Angst, überflüssig zu werden. Intendant und Direktor reagieren mit Geschwurbel

VON JENS TWIEHAUS

Vergangenen Dienstag im Berliner Funkhaus von Deutschlandradio Kultur, das Zimmer „Dresden“ ist gut gefüllt. Einmarsch der Geschäftsleitung. Intendant Willi Steul, Programmdirektor Andreas-Peter Weber und Verwaltungschef Rainer Kampmann blicken in gespannte Gesichter. Angestellte sind gekommen, einige freie Mitarbeiter auch. Sie sind skeptisch, wütend, verunsichert. Es dauert zu diesem Zeitpunkt keine vier Tage mehr, dann greift in ihrem Kulturradio eine umfassende Programmreform.

Draußen haben das nicht allzu viele mitbekommen. Allein das ist schon ein Zeichen. Das nationale Kulturradio war mal relevanter, mischte in den Debatten der vergangenen Jahre aber überall und daher nirgendwo so richtig mit. Es wurde höchste Zeit für ein klares Kulturprofil; das fanden die Chefs und auch ihre Mitarbeiter. Doch die Umsetzung der über eineinhalb Jahre vorbereiteten Reform erschüttert das fünfgeschossige Hauptgebäude des Senders am Hans-Rosenthal-Platz, das zur Zeit der Teilung Berlins Heimat des Westrundfunksenders Rias war. Viel Geschichte und Geschichten spielten sich hinter den dicken Mauern ab, vor denen Autos auf der Berliner Stadtautobahn entlangrauschen. Doch das momentane Durcheinander ist beispiellos.

Tränen, Frust und Fragen

Ein wenige Tage altes Schreiben von Vertretern des Redakteursausschusses gibt einen Einblick, wie viel Druck im Kessel ist. Die wenigen Zeilen klingen nach Anklage und Hilfeschrei. Unter der unverfänglichen Überschrift „Das Personal-Karussell dreht sich“ ist von der „Verfügungsmasse Mensch“ die Rede. Stellen würden viel zu spät besetzt, freie Mitarbeiter hätten bald keine Einkünfte mehr. „Es gibt Existenzängste, Tränen, Hilflosigkeit, Frust – und viele Fragen.“

Intern munkeln sie, dass nach der Reform mehrere Dutzend frei beschäftigte Mitarbeiter mit weniger oder ganz ohne Einkommen dastehen. Andere sprechen von mindestens 50 Betroffenen, es könnten aber auch 100 sein. Zitiert werden will niemand. Die Senderspitze dementiert, dass es so hart kommen wird. Sie räumt aber ein, dass sie nicht alle Freien weiterbeschäftigen wird. Wen es trifft? Unklar. „Die Geschäftsleitung muss Härtefälle unbedingt vermeiden. Dazu ist eine bessere Kommunikation zwingend nötig“, mahnt Jörg Sucker, Senderverbandsvorsitzender der Gewerkschaft Ver.di.

Dass eine Programmreform vieles über den Haufen wirft, war klar. Dass sie aber das komplette Sendeschema von Grund auf umkrempelt, erfuhren Mitarbeiter erst kürzlich. Viele sind enttäuscht, weil die Ergebnisse ihrer Arbeitskreise übergangen wurden. „Wozu habe ich mich da monatelang eingebracht?“, fragen sich die Redakteure in ihrem internen Schreiben.

Alle Umwälzungen, im Programm und in der Struktur, betreibt die Anstalt aus dem laufenden Budget. Was den Gebührenzahler freut, ist für Mitarbeiter ein Drama. Bei irgendwem muss gespart werden. Schon jetzt, heißt es aus Redakteurskreisen, würden die Redaktionen weniger frei beschäftigte Literaturrezensenten einsetzen. Moderatoren und Sendeassistenten bekommen weniger Aufträge. Auf den Festangestellten lastet mehr Verantwortung. „Arbeitsverdichtung“ nennen sie das auf den geschwungenen Fluren des Rias-Funkhauses.

Kandidat mit Nähe zur SPD

Hörbar ist die Veränderung seit dem frühen Morgen. „Studio 9“ heißen die wochentags vierstündige Frühsendung und auch das Mittagsprogramm und die Abendsendung. Politisches Feuilleton zum Hören sollen sie sein, kulturalisierte Politik und politisierte Kultur, erstellt von Redakteuren und Autoren der beiden Hauptabteilungen Kultur und Politik. Alle sollen jetzt aus einer Hand arbeiten, geleitet vom neuen mächtigen Mann Jürgen König.

Die Sendung „Radiofeuilleton“ ist gestrichen. Stattdessen bietet das Kulturradio volle monothematische Dröhnung in Blöcken. Gestückelt hintereinander statt durchmischt geht es täglich eine Stunde um Literatur, um Musik und um Kultur, wobei unklar bleibt, wo thematisch getrennt wird. Je eine halbe Stunde am Nachmittag bekommen Theater und Film, je eine ganze Stunde am frühen Abend ist für den Sport und am Morgen für Interviews. Die nächtliche Call-in-Sendung „2254“ opferten die Planer überraschend. Verantwortlich für die interne Planlosigkeit machen die Mitarbeiter vor allem den Intendanten Steul, aber auch seinen Programmdirektor Weber. Beide waren 2011 auf umstrittene Weise zu Kollegen geworden. Lange Zeit war für Webers heutige Stelle ein anderer im Gespräch: Christian Gramsch vom Auslandsrundfunk Deutsche Welle hieß Steuls Wunschkandidat. Doch der Verwaltungsrat des Deutschlandradios, ein mächtiges Gremium, machte dem als konservativ geltenden Intendanten einen Strich durch die Rechnung.

Die Politiker im Gremium wollten nicht unbedingt den besten Mann, sondern einen mit Nähe zur SPD. Und so kam es, dass die Sozialdemokraten eine Kandidatenliste erarbeiteten. Einer der drei Auserkorenen war Weber, damals beim Hessischen Rundfunk. Ein Programmchef von Gnaden der Politik. So erzählen es welche, die den Vorgang von innen erlebten und nicht namentlich in der Zeitung auftauchen wollen. Der Sender stritt diese Darstellung immer ab.

Die Diskussion um die Reform, aber auch die um Steul und Weber werfen ein Schlaglicht auf einen schwer zu steuernden Apparat. In höchster Not erarbeitete jetzt eine achtköpfige Gruppe eine „Road Map“, die den Chefs Beine machen soll. Personalräte, Redakteursvertreter und leitende Mitarbeiter setzten sich dafür an einen Tisch. Ihr Papier, das vor allem die interne Kommunikation verbessern soll, legten sie am Dienstag bei der Mitarbeiterversammlung vor. Gewissermaßen eine Kulturreform für die Kulturwelle.

Wer hat’s verbockt?

Die Spitzen des Senders geben sich äußerlich natürlich gelassen. Der „Strategieprozess“, schreibt Kommunikationschef Carsten Zorger in einer E-Mail, sei anstrengend und verlange viel von den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bezeichnend für die Haltung im Hause Deutschlandradio ist die knappe Reaktion auf die schriftlich gestellte taz-Frage, wer das alles verbockt habe: „Nicht zutreffende Frage.“