Volkskrankheit Depression
: Angst vor der Angst

Die Depression wird zur Volkskrankheit. Jeder vierte Besuch beim Hausarzt hat heute seelische Ursachen. Die Zahl der Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres wegen psychischer Probleme krankgeschrieben werden, ist seit 1994 um 80 Prozent gestiegen. Verwunderlich ist das nicht: In den allermeisten Unternehmen wächst der Druck auf die Beschäftigten parallel zur Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Gleichzeitig wird das einstige soziale Netz immer löchriger. Wer heute arbeitslos wird, findet sich in einem Jahr, Hartz sei Dank, auf dem Niveau der Armenversorgung wieder. Ganze Lebensläufe werden entwertet, ganzen (Praktikums-)generationen droht die Altersarmut.

KOMMENTAR VONANDREAS WYPUTTA

Merkwürdig also, wenn ausgerechnet Christdemokraten und Liberale im Düsseldorfer Landtag, allen voran der CDU-Fraktionsvize Rudolf Henke, die Krankheit aus ihrer Tabuzone holen wollen. Denn der Mediziner Henke sollte wissen: Auslöser einer Depression ist allzu oft Angst – auch Angst vor der Zukunft, vor Arbeitslosigkeit, Armut, sozialer Marginalisierung. Gerade diese Ängste aber haben CDU und FDP in trauter Eintracht mit der SPD im Bund, aber auch im Land durch ihre Politik geschürt. Nicht umsonst gibt es bereits Arbeitsloseninitiativen, die sich „Die Überflüssigen“ nennen.

Die nun angekündigte Entstigmatisierung der neu entdeckten Volkskrankheit Depression muss deshalb ein Placebo bleiben. Nötig bleibt eine Politik, die allen ein Existenzminimum gewährleistet, die nicht nur auf eigenverantwortliche Leistungsträger setzt. Die mögen für sich sorgen können, solange sie kein Burn-Out-Syndrom bekommen oder depressiv werden. Falls doch, sollten sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen haben – denn wer jemals depressiv war, wird von kaum einem Versicherer akzeptiert. Wenn CDU und FDP psychisch Kranken wirklich helfen wollen, sollten sie versuchen, wenigstens dies zu ändern.