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Archiv-Artikel

Schüsse aus dem Märchenbuch

„Die Rotkäppchen-Verschwörung“ von Tony Leach und Todd Edwards ist eine Independent-3-D-Animation

„Es war einmal“ war gestern: Rotkäppchen ist nun ein rebellisches Girlie, der Wolf ein rasender Reporter und die Großmutter eine Extremsportlerin. So geht es zu in dieser rundum erneuerten Version des Märchens der Gebrüder Grimm.

Inzwischen sind Computeranimationen mit der neusten Technologie so billig herzustellen, dass mit „Die Rotkäppchen-Verschwörung“ die wohl erste unabhängig von einem großen Studio produzierte 3-D-Animation in Spielfilmlänge möglich wurde. Die Weinstein-Brüder, (“Der englische Patient, „Herr der Ringe“, alle Tarantinos) einst die erfolgreichsten und gewieftesten Produzenten Hollywoods, haben sich, nachdem sie von der Gesellschaft gefeuert wurden, die sie selber gegründet hatten, langsam wieder aufgerappelt und im letzten Jahr in den USA mit diesem Film einen ihrer ersten kleinen Erfolge verzeichnet. Man sieht der Computeranimation zwar immer an, dass sie mit einem niedrigen Budget produziert wurde, und im Vergleich zu Filmen wie „Shreck“ oder „Happy Feet“ eher grob gestrickt (oder besser gerechnet) sind. Da wurde erste gar nicht versucht, jedes einzelne Haar so zu berechnen, dass es auch nur halbwegs real aussieht - statt dessen haben die beiden Regisseure Tony Leach und Todd Edwards aus der Not eine Tugend gemacht und statt auf Perfektion auf Witz und Originalität gesetzt. Ähnlich haben es die Cartoonisten der Warner-Studios um Chuck Jones und Tex Avery in den 50er Jahren gemacht, die von vorn herein wussten, dass sie zeichnerisch und animationstechnisch nie gegen die Filme der Disney-Studios bestehen konnten, und deshalb mit ihren Figuren wie Bugs Bunny, Daffy Duck und Wile E. Coyote einen wilderen, oft surrealistischen Humor entwickelten. Ein ähnlich subversiver Geist ist auch in „Hookwinked“ (so der Originaltitel) zu spüren, wenn der altbekannte Märchenstoff drastisch modernisiert wird. So heißt es kurz nach dem „Großmutter, warum hast du so große...“ nicht „Und wenn sie nicht gestorben sind...“, sondern es wird die Polizei gerufen und ein Grizzly ermittelt als Sheriff zusammen mit drei kleinen Schweine-Deputies wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Ruhestörung.

Als Detektiv mit dem großen Durchblick tritt dann ein Frosch im Trenchcoat auf, bei dessen Ermittlungen jeder der Verdächtigen im Verhör seine Version der Geschehnisse erzählt. Diese Erzählstruktur erinnert nicht umsonst an Kurosawas „Rashomon“, und auch sonst ist der Film gespickt mit Zitaten, die von „Sounds of Music“ bis zu den typischen Szenen aus James-Bond-Filmen reichen. Das gesamte Personal benimmt sich kaum märchenhaft, und so wird aus einem Holzhacker ein arbeitsloser Schauspieler und aus einem Häschen ein größenwahnsinniger Bandit, der Kuchenrezepte klaut, um im Märchenwald das Monopol für Süßigkeiten zu erlangen. Der Witz besteht dabei darin, dass die Figuren eines altbekannten Märchens in eine Kriminalgeschichte verpflanzt werden und die Gegensätze zwischen den jeweiligen Erzählkonventionen zu absurden Situationen führen.

Wie inzwischen üblich, haben berühmte SchauspielerInnen wie Glen Close (als Großmutter) oder Jim Belushi (als Holzhacker mit einem „heavy german accent“) den Figuren in der Originalfassung ihre Stimmen geliehen, und wie immer gehen viele Nuancen bei der deutschen Fassung verloren. Doch es wurde zumindest mit Sorgfalt versucht, den eigenen Witz des Films auch in die Synchronfassung hinüberzuretten, und so hat es ja auch eine ganz eigene Ironie, wenn Rotkäppchen nun ausgerechnet die Stimme des TV-Girlies Sarah Kuttner hat. Komisch ist all das eher für Erwachsene als für Kinder, die wohl nicht unbedingt über ein hyperaktives Eichhörnchen oder ein Schaf mit Elvis-Locke lachen werden.

Wilfried Hippen